Balken01a


”Bleeding October” 01
 

backset3line

Ein letztes lautes Klacken ging durch die großen menschenleeren Hallen des Naturkundemuseums in Berlin. Juri, der Nachtwächter hatte eben hinter dem letzten Mitarbeiter zugeschloßen und ließ die einzelnen Schlößer zuschnappen. Etwas abwesend sah er in die großen Glasscheiben der Haupttüren, strich sich durch das dunkle Haar und rückte seine Mütze zurecht. Nun ja, er wurde schon oft als eitler Gockel bezeichnet, aber das war ihm egal. Langsam schlenderte er zu dem Sicherungs- und Überwachungsraum rüber, wobei der Schlagstock um sein Handgelenk kreiste. Er ließ sich in seinen bequemen Schreibtischsessel fallen und lehnte sich weit zurück. Mit Schwung schlug er die schlanken Beine auf dem Pult übereinander und begutachtete die Monitore, während er in einem lauten Gähnen die Arme hinterm Kopf verschränkte. Nacheinander überflog er die Ausstellungsräume und schaltete entsprechend Licht aus und Alarmanlage an. Bis auf das letzte Labor hatte er schon alles scharf geschaltet. Doch in dem Labor schien noch Jemand zu sein. Grinsend schnappte sich Juri das Mikro und drückte entsprechende Knöpfe auf dem Schaltpult, um eine Sprechverbindung zu dem Labor zu bekommen. Es knackte verdächtig in der Leitung, was Coligny schon hätte warnen können. Doch da brülle Juri auch schon "HEY, Laborratte!" aus vollem Hals. Er machte sich gerne Späße mit den Mitarbeitern hier und Coligny mußte nur allzu oft darunter leiden. Juri empfand nunmal, daß sich Coligny immer noch am Besten erschrecken konnte. Er wartete aber nicht auf dessen Antwort sondern schnellte aus dem Stuhl wieder hoch und machte sich auf den ersten Rundgang. Diese großen Ausstellungsstücke in der Vorhalle sahen bei diesem Licht immer sehr interessant aus. Gut in einigen Laboren oder Räumen konnte man wirklich Schauer bekommen des Nachts, aber Juri war viel zu abgehärtet für solchen Kinderkram. Dazu kannte er sich hier auch viel zu gut aus, wußte über jedes Ausstellungsstück Bescheid, war also ein wandelnder Bestandskatalog. Aber das mußte er auch sein, mußte das wissen. Als Letztes kam er am Kaffeeautomat vorbei und fütterte dieses immerhungrige Gerät mit ein paar Münzen, auf daß es eine braune, dampfende, koffeinhaltige Substanz wieder von sich gab. Langsam füllten sich die zwei Pappbecher und der Geruch verbreitete sich in dem Flur. Juri hatte nur noch Licht und Strom in Coligny´s Labor angelassen und die Tür stand davon halb offen. Col mußte also den Kaffee schon riechen, der Juri vorrausging. Dieser schob die Glastür jetzt gänzlich zur Seite und steckte seinen Kopf hinein "Coohhoool..." flötete er völlig unschuldig in den Raum rein.

Wie erwartet, hatte sich dieser ziemlich erschrocken, als der Wachmann ihn aus der Leitung aus anblaffte - ließ beinahe sein Präparat fallen und fluchte leise, ehe er die Feder des ausgestopften Kolibris wieder in die richtige Lage brachte und Museumswächter im Allgemeinen und diesen im Besonderen verwünschte. Er wußte, daß er zu oft in Gedanken war und völlig in seiner Aufgabe versunken - aber das gab einem doch noch lange nicht das Recht, Herzinfarkte im Sonderpack zu verteilen ?! Der Ärger verrauchte jedoch so schnell wieder, wie er gekommen war, als der junge Schwarzhaarige den Kaffee roch ... dann blickte er dem Museumswächter entgegen und schmunzelte, als er das unschuldige Flöten hörte und schüttelt den Kopf bei diesem Anblick. "Komm rein, Juri - ich spendier auch nen Donat, ich habe zuuuuuufällig noch welche über von heute Mittag." Bei den Worten stand er auf und fischte aus seiner Ledertasche eine große Papiertüte, aus der es verdächtig gut nach Schokoladen- und Marmeladendonats roch - legte sie auf einen der wenigen, freien Tische und nahm seinen Kaffeebecher, ehe er noch ein "Achja, deine Mütze ist schief ..." nachsetzte und sich schon diebisch auf den sicher folgendenen Schreck des eitlen Wächters freute.

Juri plazierte schnell die Kaffeebecher neben der Tüte, achtete schon fast gar nicht mehr auf Col, sondern widmete sich dem feinem Gebäck. Seine schnellen Finger fanden dann auch das passende Objekt seiner momentanen Begierde und fischten einen der Donuts hervor. Doch bevor er ihn genüßlich vertilgen konnte, machte Col eine doch recht anstößige Bemerkung. "Hmpf!" war Alles, was Juri dazu sagen konnte. "Also echt, nie kann ich es dir recht machen!" Col fand immer einen Makel an seiner Uniform, auf die er doch so stolz war. Wild gestikulierend wischte er dieses Thema jetzt beiseite und sah neugierig zu den Arbeiten von Col "Sag mal, was machst du denn da?" Juri spielte nicht nur Interesse an den Arbeiten der Laboranten vor, er hatte wirklich welches. Er selbst gehörte mal zu den Geologen, aber inzwischen hatte er einen viel besser lohnenderen Posten erhalten. Er hatte sich als Türsteher immer etwas nebenher verdient, denn er hatte nie genug Kohle bekommen, da er nach Leistung und nicht nach Stunden bezahlt wurden war. Leider hatte Juri eine viel zu große Hingabe für das jeweilige Objekt entwickelt, so daß er viel zu lange brauchte, um seine Aufgaben zu erldigen. Doch bevor er Col´s Antwort erhalten konnte, piepte sein Funkgerät. "Was gibt´s!" schnauzte Juri in das Sprechgerät, da er nun noch saurer wurde. Er sah seinen leckeren Donut schon davon fliegen. Der Wachmann am Einfahrtstor unterrichtete Juri von einer außerplanmäßigen, aber eiligen Lieferung. Ein Paket aus einem anderen Museum. Und zwar aus Paris. Juris grüne Augen funkelten und er rieb sich die Finger. Der Auftrag war dringend, der Inhalt sollte sofort geprüft und bestimmt werden. Irgendwie hatten die in Paris damit wohl Schwierigkeiten gehabt, die Herkunft zu bestimmen und da ein Verweis auf Deutschland zu finden gewesen war, hatte man es hierher geschickt. Juri´s Augen bettelten Col regelrecht an, daß er sich dafür bereit erklärte, den Auftrag zu übernehmen. "Es ist sowieso kein Anderer hier....!" Col hatte so ziemlich das ganze Gespräch mithören können, so sagte Juri nichts mehr als das.

"Och nöööööööö....." Leise jammernd, strich sich Col kurz über das Gesicht - dann seufzte er auf und nickte, als er sich in sein Schicksal ergab und leise grummelte. "Okay, Okay .... ich mach das Dingens noch. Aber du bestellst ne Pizza, wegen dir kann ich nämlich erst so spät nach Hause, daß die Lieferdienste zu haben. Also, schwing dich an den Hörer, du weißt ja, was ich mag. Bin ja mal gespannt, was das schon wieder für nen alter Kram ist, hoffentlich nicht wieder ...." Leise vor sich hinschimpfend, ging der junge Archäologe wieder zu dem Präparat, das er zuvor in der Mangel gehabt hatte - machte es fertig und legte es in die dafür vorgesehene Glasschatulle, ehe er sich in seinen Stuhl sinken ließ und einfach abwartete, was wohl in der Lieferung war.

Juri sprang mit Schwung auf und wieselte davon. Fast hätte er dabei seine Mütze verloren, doch das interessierte im Moment eher weniger. Kurz bevor er die Tür vom Labor erreicht hatte, gab er schon Anweisungen für die Lieferung. Mit weitausholenden Schritten durchquerte der Wächter die großen Hallen, wurde begleitet von einem rhythmischem Klang, den seine Schue auf dem harten Boden verursachten. Noch bevor er den Liefereingang erreicht hatte, hatte Juri auch schon beim Italiener geordert. Später würde nicht nur Col´s Pizza kommen, Juri hatte in seinem überschwenglichen Temperament ein halbes Gelage bestellt. Wenig später kam Juri dann wieder ins Labor mit einer Holzkiste. Diese war ordentlich versiegelt und ein Stück größer als ein Schuhkarton, wog dafür aber eine ganze Menge. Mit Wucht hiefte Juri die Kiste auf den Tisch, wartete nicht einmal bis Col da war, sondern entfernte schon die Versiegelung und legte den Inhalt frei. In der ganzen Zeit hatten Juris Augen nicht aufgehört zu glänzen und wurden jetzt noch größer, als er den Inhalt gänzlich sah. Eine Statue. Sie sah auf den ersten Blick wie ein Gargoyle aus. Da waren große halb angelegte Schwingen, die aussahen wie Fledermausflügel, der Rest wies eindeutig menschliche Gestalt in kniender Position auf, hatte aber längere Finger, leicht spitzere Ohren. Die Augen waren nicht zu erkennen, da sie geschlossen waren und auch ein Teil der langen Haare darüber hing. Ungewöhnlich war schon auf den ersten Blick, daß der Stein makellos war, keine Kerben, keine Spuren der Zeit. Als wäre die Statue gerade mit einer dünnen Porzellanschicht überzogen worden. Das verlieh dem dargestelltem Wesen eine unirdische Schönheit. Die Finger der Statue krallten sich in den Sockel, worauf das Wesen hockte. Der Sockel selbst war ca. 5 cm hoch und hatte 9 kleine gefeilte Löcher, wo eindeutig einmal Edelsteine hineingehörten. Juri fingerte die Frachtpapiere und die Berichte hervor. Denen war wiederrum zu entnehmen, daß die Radiocarbon-Tests ein sehr hohes Alter festlegten. Über 1000 Jahre sollte die Statue alt sein, jedoch sprach der Zustand des Steines eben völlig dagegen. Desweiteren war auch nicht völlig klar, aus welchem Material die Statue war. Normalerweise dürfte diese ca. 30 cm große Statue niemals so schwer sein. Selbst wenn es massives Metall wäre, müßte sie um einiges leichter sein. Juri laß die Berichte aufmerksam durch, hatte die Statue auch nicht aus der Kiste genommen oder anderweitig berührt. Das war Col´s Sache.

Jener war inzwischen zu dem Wächter gekommen und starrte auf die kleine Statue ... ein leises "Merde ...." ["Scheiße..."] entkam ihm, als er sich wieder fing und Juri die Papiere wegschnappte. "1000 Jahre ? Ja, spinn ich ?" Mehr sagte er nicht, als er die Papiere auf seinen Schreibtisch legte und wieder zu dem Wächter zurückkehrte, ein wenig ratlos auf die kleine Statue blickte und sie schließlich aus der Kiste nahm. Er entließ Juri mit einem kurzen "Danke dir fürs Bringen, Juri ... aber jetzt brauch ich meine Ruhe, Okay ? Ich darf hier nichts falsch machen, bitte versteh das ... die Pizza kannst du essen, ich habe keinen Hunger mehr ...." und schob ihn sanft, doch bestimmt zur Türe raus – verschloß sie hinter dem Wächter und seufzte leise, als er wieder zu seinem Schreibtisch ging und sich setzte. Aus den Papieren schrie ihm ein lautes 'Mysterium !!!' entgegen und reizte seinen Entdeckerdrang ... mit einem Schmunzeln erinnerte sich Col daran, daß seine Studienkollegen in Paris ihn immer scherzhafterweise 'Bücherwurm' gerufen hatten, da seine Passion weniger in der schlichten Katalogisierung, sondern im Stöbern von Bibliotheken und Museen nach verlorengeglaubten Schriftstücken lag. Daß er auch ein paar Erfolge vorzuweisen hatte, trug nicht gerade dazu bei, diesen Ruf zu unterbinden ... zwar war es sehr ruhig geworden, seit er diese Stelle im Berliner Museum bekommen hatte, doch scheinbar hatten sich einige seiner alten Studienkollegen in Paris an ihn erinnert und ihm nun diese Statue geschickt. Mit diesen Gedanken wandte er sich wieder dem Objekt seiner Gedanken zu ... mit einem leisen Schauer bemerkte er die absolute Vollkommenheit, mit der es hergestellt worden war, die Makellosigkeit, der weder Zeit noch unsachgemäße Behandlung etwas hatten anhaben können. Den Unterlagen zufolge war es bei der Ausgrabung an den Fundamenten einer alten Ritterburg nahe der deutsch/französischen Grenze zu Tage gekommen ... doch es lagen weder Aufzeichnungen noch andere Hinweise dabei. Mit einem leisen Schauer ließ Col seinen Finger über die schon fast unnatürlich glatte Oberfläche gleiten ... doch dann hielt er inne und betrachtete die Vertiefungen im Sockel, die Form, welche die Steine oder Ähnliches gehabt haben mochte, das dort hineingesteckt worden war. "Moment mal ... da war doch was ..." Langsam begann sich die Stirn des jungen Mannes zu kräuseln, als er in seinen Erinnerungen kramte ... wegen seiner Leidenschaft für alte Pergamente und Manuskripte hatte er während seiner Ausbildung an einem Lehrgang in Paris teilnehmen dürfen und dort in den riesigen, staubigen Lagerkellern mehrere Monate verbracht. Dabei war ihm ein Buch in die Hände gefallen, das er noch immer in Erinnerung hatte – das Tagebuch eines Ritters, der sein Leben der Verfolgung von Hexen und Teufeln gewidmet und darin all seine Erlebnisse aufgezeichnet hatte. Damals hatte Coligny mehr als nur fasziniert darin gelesen, während er es konservierte und die Seiten für das Archiv auf Microfilm bannte ... und ein Kapitel befaßte sich auch mit der Verfolgung eines Dunklen, der ein Artefakt besaß, das zu mächtig war, um in dessen Händen gelassen zu werden. In den Aufzeichnungen waren nicht viele Informationen, um daraus schlau zu werden ... es war nur immer wieder von der Apokalypse und dem Ende der Menschheit die Rede gewesen, dem reinen Glauben des Ritters und ähnlichem, mystischem Gerede. Damals hatten seine Professoren ihn beim Lesen erwischt und er hatte mehrere Wochen Strafarbeit aufgebrummt bekommen – deshalb hatte er es vergessen gehabt, dieses eher unangenehme Erlebnis aus seinem Gedächtnis verbannt. Doch etwas hatte die Erinnerung daran wieder in Cols Gedanken geholt ... in den Aufzeichnungen war auch die Rede von einer Statue gewesen, die der Ansicht des Ritters nach teuflischen Ursprungs sein mußte, daß sie von solch makelloser, weißer Gestalt war, daß es kein Mensch geschaffen haben konnte. Außerdem zeigte sie einen geflügelten Teufel und beherbergte mehrere Edelsteine, die in fast unmöglicher Art geschliffen waren und von so tiefem Rot, daß es wie kristallines Blut schimmerte und ebenso teuflischen Ursprungs sein mußte. Doch zu mehr war Col damals nicht mehr gekommen, da ihn sein Professor erwischt hatte – und nun grübelte er nach, ob das nur ein Zufall war oder ob die Informationen tatsächlich von dieser Statue gehandelt hatten. Kurzerhand griff er zum Telefon und rief den Kollegen an, der ihm die Statue geschickt hatte – erkundigte sich nach einer freundlichen Begrüßung nach dem Buch und fluchte leise, als ihm der Mann an der anderen Leitung mit Bedauern mitteilte, daß sie dieses Buch mit einer ganzen Menge Anderer aus dieser Zeit an das Londoner Museum als Leihgabe überantwortet hatten. Col verabschiedete sich, nachdem er die Telefonnummer des dortigen Ausstellungsleiters erhalten hatte und legte den Hörer auf – lehnte mit einem leisen Seufzen nach hinten und schloß die Augen, als er daran dachte, daß er nun eine Reise und eine Menge Arbeit vor sich hatte.

Juri war grummelnd abgedackelt, zu gern hätte er Col bei der Arbeit zugesehen und auch etwas über diese Lieferung erfahren. Aber er war ja hier nur der Wächter. Seufzend setzte er seine Mütze wieder richtig auf den Kopf und machte einen letzten Rundgang, bevor er auch nach Draußen ging. Hinter sich schloß er die großen Glastüren des Haupteinganges und machte nun seinen Kontrollgang im Parkgelände um das Museum. Die Stabtaschenlampe erhellte ihm den Weg und scheuchte hier und da ein paar Dunkelheit liebende Tiere aus den Büschen hervor. Als ihm eine Katze laut miauend über den Weg rannte, machte sein Herz fast einen Aussetzer. Fluchend warf er ein paar Kiesel hinter dem Mistvieh her. Juri zog seine Jacke enger an den Körper. Es wurde ihm plötzlich kalt, was ungewöhnlich war. Aber er dachte sich nichts dabei. Als er dann endlich aufhörte, mit leisem Gebrummel Flüche aussprechen, bemerkte er, daß es im Park auch sehr leise war, bedrückend leise. Unheimlich. Er fröstelte und blieb stehen. War da nicht eben ein Schatten ? Hektisch bewegte er die Taschenlampe. Da raschelte etwas hinter ihm und er fuhr herum. Aber da war nichts, gar nichts. "Jetzt reiß dich doch mal zusammen..." flüsterte Juri zu sich selbst. Er ging langsam weiter und dann begann seine Taschenlampe auch noch Aussetzer zu bekommen. Er blieb wieder stehen und klopfte mit der Lampe auf seiner Handfläche herum. Als würde das je was gebracht haben. Wieder begann er zu fluchen. Doch das half nichts, die Taschenlampe hatte ein letztes Mal kurz aufgeflackert und hätte Juri hingesehen, hätte er wohl doch schnellstens kehrt gemacht. Um Juri wurde es dunkel und plötzlich wurden auch die nächtlichen Geräusche wieder lauter. Der Wind pfiff hier durch einzelne Bäume, überall raschelte etwas und dann wurde es noch kühler. Inzwischen war ihm so kalt, daß sein Atem in feinen weißen Dampfwölkchen vor seinen Lippen hing. Aber darüber brauchte sich Juri nicht mehr zu wundern, denn um ihn herum war es dunkel.

}|{

Die Nacht war schon fast herum, es war schon sehr spät. Oder doch eher schon sehr früh ? Col hatte mit seinen Grübeleien bis zum anbrechenden Morgen zu tun und kein Auge für die nächtlichen Aktivitäten gehabt. Andere jedoch schon.

Vor dem Museum auf den Straßen Berlins begann wieder das Leben. Geschäftige Leute eilten an dem Anwesen des Museums vorbei, hasteten zur Arbeit, nahmen sich keine Zeit, denn schon waren sie in Gedanken bei ihren folgenden Tätigkeiten. Nur ein Mann blieb an den Toren stehen und sah den Weg zum Museum und dem Park an. Er hatte einen langen schwarzen Ledermantel an, sein Gesicht lag im Schatten der Kapuze von seinem Pulli Doch das dauerte auch nur ein paar Sekunden, dann schien er wieder in seinen Trott zu verfallen, denn er griff zum Handy und tätigte wohl seine Geschäfte.

An gänzlich anderer Stelle klingelte auch ein Telefon. Lange, dürre Finger krallten sich um den Hörer und lauschten den Worten des Anrufers. Ein einfaches "Bleib dran..." war die Antwort auf den mehrminütigen Monolog des Anrufers. Sha'kafir klappte das Handy wieder zu und ließ es in der Mantelinnentasche verschwinden, zog dafür eine Sonnenbrille hervor und versteckte hinter dem fast schwarzen Glas der Brille seine dunkelblauen Augen, die ungewöhnlicherweise einen hellen, bersteinfarbenen Rand hatten. Er schmunzelte kurz und wischte sich über die Lippen. Des Öfteren waren ihm allein wegen dieser Ungewöhnlichkeit einige Frauen und auch Männer zum Opfer gefallen. Dann setzte er seinen Weg fort und dachte dabei über seinen Auftrag nach, den er erst vor Kurzem bekommen hatte. Zum ersten Mal hatte er solch eine Aufgabe bekommen, noch nie hatte ihn sein Boss soweit weggeschickt. Er zuckte mit den Schultern, als er sich kurz daran erinnerte, wie er die große Empfangshalle zu dem thronartigen Sitz seines Bosses ging, wie er den leisen Worten lauschte und den alten Mann, der Boss und Vater in einer Person für ihn war, mit großen, fast erschreckten Augen angesehen hatte. Es war absolut nicht Sh'kafirs Art, die Anweisungen von diesem Mann zu hinterfragen, denn er war ihm absolut loyal ergeben. Er hätte ihn auch in den Tod schicken können und Sha'kafir wäre seinem Befehl gefolgt. So waren auch bei diesem Auftrag seine Lippen verschlossen geblieben. Von einem Anderen hatte er dann detaillierte Instruktionen bekommen und auch die dazu nötige Ausrüstung. Und jetzt war er hier, gerade betrat er das Flughafengebäude in Berlin. Er strich sich durch die schwarzen, schweren, glatten Haare, die nur zur einen Seite seines Kopfes herabhingen bis zum Po; die andere Hälfte war kahlrasiert und von feinen Tribals verziert. Er blieb stehen und sah sich kurz um, wählte eines der Cafes aus, setzte sich dort hin und wartete. Eine Bedienung nahm seine Bestellung auf und kurze Zeit später stand ein dampfender Kaffee vor ihm, den er aber unbeachtet lies. Er beobachtete und wartete.

}|{

Erst, als am nächsten Morgen die Vögel zu zwitschern begannen und das Tageslicht langsam in das Labor fiel, merkte Col von seiner Arbeit auf ... er hatte sich noch Notizen gemacht und die Statue in Seidenpapier gewickelt, legte sie nun in seine Umhängetasche und räumte das Labor noch ein wenig auf. Als es schließlich Neun war, steckte er die Unterlagen zu der Statue in die Tasche, hängte sie sich um und nahm noch den Mantel vom Haken, schloß das Labor ab und machte sich auf den Weg zum Direktor des Museums. Als er dabei am Eingang vorbeikam, nickte er nur abwesend, da Juri scheinbar schon nach Hause gegangen war ... stieg dann die Treppe rauf und klopfte an die Türe des Direktors, trat ein und begann, diesem anhand der Unterlagen die Sachlage darzulegen und um die Erlaubnis zu bitten, nach London reisen zu dürfen. Nach zwei weiteren Stunden und einigen Telefonaten war es schließlich geklärt und der Direktor gab Col einen Scheck, damit dieser die Spesen bezahlen konnte – mit einem erleichterten Lächeln bedankte sich der junge Mann und nahm den Scheck entgegen, ging gleich zu der nächsten Bank, die auf dem Weg lag und hob das ausgewiesene Geld vom Konto des Museums ab. Erst dann fuhr er zu sich nach Hause und duschte ausgiebig ... gähnte dabei mehrmals und wurde erst ein wenig wacher, als er den zweiten Kaffee trank, ehe er noch ein paar Sachen in einen Rucksack packte und dann ein Taxi zum Flughafen rief. Auf der Fahrt über dachte er noch einmal über dieses merkwürdige Artefakt nach, das in seiner Umhängetasche lag ... seufzte schließlich leise und bezahlte den Fahrer, stieg am Flughafen aus, ging zu einem der Schalter und bat die Dame um das für ihn reservierte Ticket nach London. Die Formalitäten verliefen recht glatt, da er für die Statue ein beglaubigtes Schreiben hatte und der Direktor auch schon angerufen und die Wachleute informiert hatte ... doch während seine Taschen durch die Anlage rollten und durchgesehen wurden, konnte er ein leises Frösteln nicht unterdrücken und auch das Gefühl, beobachtet zu werden. Sich selbst einen paranoiden Narren schimpfend, ging Col durch den Metalldetektor und nahm dann seinen Rucksack und die Tasche entgegen ... stutzte aber, als er einen wahrhaft riesigen Mann in der Warteschlange stehen sah, der unter ihnen herausstach wie ein Hai in einem Fischschwarm. Groß, kräftig, dunkel und wahrhaft unheimlich ... mit einem erneuten Schauder wandte sich Col ab und ging zügig zum Flugzeug, setzte sich dort in die günstigere Klasse, die auf seinem Ticket ausgewiesen war und legte die Tasche oben in die Ablage, während er leise seufzend darauf wartete, daß sie endlich starten würden.

Sha'kafir war reichlich uninteressiert an den ganzen Passagieren, die mit ihm in das Flugzeug nach London stiegen. Erst, als er auf seinem Platz in der Maschine saß, sah er sich wieder um, schloß die Augen und lächelte dunkel. Dann liefen schon die Motoren an und das Flugzeug rollte auf die Startbahn. Sha'kafir schob seine Sitzlehne etwas zurück, zog seine fingerlosen Lederhandschuhe aus, verstaute Sonnenbrille samt Mantel im Stauraum über sich und lehnte sich dann entspannend zurück. Durch die Sprechanlage gab der Kapitän noch bekannt, daß der Flug ca. 4 Stunden dauern würde und die Stewardessen machten den üblichen Sicherheitskurs mit den Passagieren. Sha'kafir winkte nur ab, setzte die Kopfhöhrer auf und suchte in den angebotenen Musiksendern des Flugzeugs nach einem passendem Sender. Irgendwann wurde er von harten Bassgitarrenklängen durchflutet und seine Finger tippten den Takt auf der Lehne mit.

Col hatte sich indes eines seiner Studienbücher rausgeholt und damit begonnen, ein weng nachzulesen .... den Flug über würde er dazu nutzen, sein Wissen ein wenig aufzufrischen, indem er seine damaligen Notizen und Studienunterlagen durchsah. Er versuchte das unangenehme Gefühl zu verdrängen, das sich immer wieder einschlich, wenn er an die Statue dachte – oder an diesen großen Mann, der ein ziemliches Stück hinter ihm saß. Doch dann vergaß er diese Gedanken wieder und versank in den Studien ... erst die freundliche Stimme der Stewardeß brachte ihn wieder in die Realität zurück und er nickte, packte die Unterlagen wieder ein und schnallte sich für die Landung an. Auch die Abfertigung in London dauerte nicht lange und mit deutlicher Erleichterung stieg der junge Museumsmitarbeiter in eines der Taxis, um zuerst zu seinem Hotel und danach zum Museum zu fahren.

Dort angekommen, konnte er die Formalitäten recht schnell hinter sich bringen – das Anschreiben seines Direktors half dabei sehr viel, und so dauerte es keine Stunde, bis er in den Arbeitsräumen des Museums saß, in aller Ruhe durch das Buch blätterte und dabei auch manchmal die Microfilme zu Hilfe nahm. Es war eine sehr langwierige Angelegenheit und so lud er die Dateien auch in seinen Laptop, da er die Genehmigung dazu vom Museumsdirektor erhalten hatte – erst am Abend, als das Museum schloß, merkte er wieder auf und dankte den anderen Mitarbeitern, daß sie ihn daran erinnert hatten und kehrte in sein Hotel zurück. Er war müde ... all das Durchsehen und Nachlesen, wenn man eine bestimmte Information suchte und sie nicht fand, zehrte an der Substanz – hinzu kam noch, daß er Hunger hatte, da er zuletzt im Flugzeug etwas gegessen hatte und von der Nacht zuvor noch viel zu wenig Schlaf hatte. Kurzentschlossen bestellte Col sich etwas beim Zimmerservice und schaltete seufzend die Nachrichten an ... die ersten Berichte handelten wieder einmal von irgendwelchen Katastrophen und so horchte der junge Forscher eigentlich nicht recht hin, jedoch ließ ein Bericht ganz am Schluß ihn plötzlich auhorchen. Es ging um den rätselhaften und bisher noch ungeklärten Mord an zwei Forschern eines Pariser Museums, die förmlich abgeschlachtet in einer Seitengasse in der Nähe ihres Arbeitsortes gefunden wurden ... die Kehlen zerfleischt in brutalster Art und Weise. Mit leicht zitternden Fingern schaltete Col den Fernseher wieder aus, als der Bericht zu Ende war – schlang die Arme um sich und schloß die Augen, als er sich die Worte und Bilder, die gezeigt wurden, wieder ins Gedächtnis rief. Er hatte einen der Beiden gekannt – es war sein alter Freund und Studienkollege Maurice gewesen, dem er auch seine jetzige Suche zu verdanken hatte, denn von ihm hatte er die Statue bekommen. Nur langsam beruhigte er sich wieder und nickte, als der Zimmerservice ihm das Essen brachte – verdrängte diese aufwühlenden Gedanken und aß, richtete sich dann für das Bett und schlief schnell ein, da nun doch die Müdigkeit übermächtig wurde.

}|{

Das Alles dauerte ganz schön lange. Sha'kafir hatte an sich nichts mit Geduld am Hut, aber er lernte es. Er mußte lange warten, bis die Lichter im Gebäude erloschen waren und die letzten Menschen rausgingen. Die Wächter sollten kein Problem sein. Wie ein Schatten huschte Sha'kafir über das Gelände und suchte sich ein ungesichertes Fenster. Es war für ihn ein Leichtes, die Fassade hochzuklettern und in das noch offene Fenster zu schlüpfen. Als er sich hinter die angelehnte Tür stellte und grad die Klinke berühren wollte, ging die Tür auf und einer der Wachleute kam herein. Doch der bemerkte Sha'kafir nicht, sondern hatte nur Augen für das Fenster, welches er jetzt schloß. Dann gingen mit einem mechanischem Klicken die Außengitter aller Fenster und Außentüren runter, riegelten somit das Gebäude ab. Der Mann stand noch eine Weile vor dem Fenster und sah hinaus, wobei ihm plötzlich der Magen knurrte. Das erinnerte Sha'kafir an seinen eigenen Hunger. Er mußte sich also beeilen. Langsam kroch ein Schatten auf den Mann am Fenster zu, doch dieser sah nichts. Nicht einmal in der spiegelnden Fensterscheibe konnte er das herannahende Unglück sehen. Er achtete nicht darauf. Und dann war es nur noch dunkel.

Sha'kafir eilte weiter, runter zu den Archivräumen. Wo er genau hinmußte, wußte er noch von den Beobachtungen vom verstrichenem Tag. Er rupfte die letzte Tür aus ihren Angeln und stand dann endlich vor dem Schreibtisch. Er fischte aus den Unterlagen das Tagebuch hervor und begann alles Andere in einen Metalleimer zu stopfen. Sämtliche Aufzeichnungen, die der Forscher dort noch liegen hatte. Niemand sonst sollte den Weg zu den Steinen finden können. Reicht, wenn Einer die Drecksarbeit für Sha'kafir machte. Er hatte ja beobachtet, daß der Forscher sich schon was auf seinen Laptop gezogen hatte. Nach und nach wanderte alle betreffenden Aufzeichnungen in den Metalleimer, machte sich dann am System des Computers zu schaffen und löschte auch dort entsprechende Dateien. Letztendlich gingen auch die Mikrofilme zu Klump. Dann verließ ein Schatten wieder das Gebäude, in dessen Bauch ein kleines Feuer ausbrach. Schnell und heiß genug, um das geplante Material zu vernichten und ein wenig drumherum. Bevor aber das komplette Gebäude in Flammen aufgehen konnte, gingen die Sprenkleranlagen an. Die Flammen wurden schon gelöscht, bevor sie überhaupt den Raum verlassen konnten, in denen sie entstanden waren.

Sha'kafir wischte sich über die Lippen und leckte dann über seinen Handrücken. Inzwischen war er auch gesättigt und er lächelte zufrieden, als die ersten Feuerwehrautos vorfuhren. Dann sprang er über die Dächer weiter, wobei nur sein Mantel Geräusche von sich gab. Ein wenig später hockte er vor Col's Fenster, lauerte sich dort in die Nische und wartete. Irgendwann fing es an zu regnen, doch Sha'kafir rührte sich nicht, blieb hocken und wartete. Wartete wieder.

}|{

 

Website Design Software NetObjects Fusion
Sommerblume03a
Sommerblume03d