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 ”Der Bücherdieb”  01
 

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Arthur seufzte leise, als er das Zetern von oben hörte. Sein Vater war schon wieder angetrunken und trampelte bewußt auf dem Boden herum, damit es auch in der kleinen Kellerwohnung ankam. „Beweg deinen Arsch zur Arbeit ! Ich hab keine Lust, daß du mir kein Geld heimbringst, nur weil du zu spät kommst !“ Es war immer wieder dasselbe, und Arthur hatte schon seine Nachtwächteruniform angezogen. Er hatte noch mehr als genug Zeit und deckte erst mal seinen kleinen Bruder zu, der unten bei ihm lebte. Oben war Marlon nicht sicher, und bekam schon oft genug die Wut ihres Vater ab. „Versuch zu schlafen, ja ? Ich bin wie immer in der früh wieder da, und mach dir Frühstück.“

"Okay ... aber bitte mach oben zu, ja ? Damit Dad nicht runterkommt." Man hörte und sah, daß der kleine Achtjährige Angst hatte ... und gerade abends, wenn sein großer Bruder arbeiten gehen mußte, trank ihr Vater ein Bier nach dem anderen, um seinen Frust abzubauen. Ihr Vater besaß eine Werkstatt, in der die Biker ihre Motorräder brachten und würde selbst gerne wieder fahren - doch da er sich bei einem Unfall das Knie verletzte, war das nicht mehr möglich, und so gründete er die Werkstatt. Es war anfangs auch kein Problem gewesen - aber seit seine Frau bei Marlons Geburt starb und ihn mit den Kindern sitzenließ, trank er abends nach Geschäftsschluß bis er auf dem Sofa einschlief, und ließ seine Wut oft an seinen beiden Söhnen aus.

„Sicher, ich schließe ab. Und ich bringe dir dann wieder was neues aus Geschichte zum Lernen mit.“ Arthur neigte sich zu seinem kleinen Bruder, und küßte ihn auf die Stirn. Erst dann deckte er ihn richtig zu und verließ die winzige Kellerwohnung, um zur Arbeit zu gehen. Er schloß die obere Tür ab und steckte den Schlüssel ein, damit sein Vater nicht doch im Suff den Weg in den Keller fand. „Ich bin dann weg.“ murmelte er und verließ so rasch es ging die Wohnung neben der Werkstatt, um seinen Dienst als Nachtwächter anzutreten.

"Wird auch Zeit, verdammt !" Ihm wehte noch das Brüllen ihres Vaters nach und Marlon schluckte schwer, doch dann kuschelte er sich in sein Kissen und schloß die Augen. Er wußte, daß ihr Vater nicht mehr in den Keller kommen konnte, seit sein großer Bruder die Türe verstärkt und mit einem großen Riegel versehen hatte, dessen Schloß er von außen zusperrte, aber innen von Marlon im Notfall geöffnet werden konnte. Es war der erste große Streit zwischen Arthur und ihrem Vater gewesen, in dem Arthur ihm widersprach - und da er größer und stärker als ihr Vater war, mußte dieser klein beigeben, auch wenn das Leben seither die Hölle war. Denn noch lebten sie beide im Haus ihres Vaters, da sie sich keine eigene Wohnung leisten konnten - und da Arthur noch nicht einundzwanzig war, konnte er nicht das Sorgerecht für Marlon beantragen und mußte tun, was ihr Vater sagte. Der ältere Rotblonde knurrte nur und ließ sich mit einem Sixpack Bierdosen auf die Couch fallen, schaltete den Fernseher ein und fluchte leise, ehe er sich die Wrestlingkämfe ansah, die heute anstanden.

 

}|{

 

Etwas später bei der Arbeit, lief Arthur kurz seine Runde und suchte dann zuerst ein Buch mit Geschichte heraus. Er kopierte immer einige Seiten für Marlon, denn dieser ging nicht in die Schule und lernte Zuhause. Auch das war ein Grund, warum Arthur es kaum erwarten konnte daß er einundzwanzig wurde - denn dann würde er seinen Bruder an einer Schule anmelden. Erst, als alles kopiert war, lief Arthur noch eine Runde und kontrollierte alles. Eigentlich war es nie nötig, wer brach schon in eine Bibliothek ein ? Nach der Runde setzte sich der rotblonde Hüne an den öffentlichen Computer, um ihn hochzufahren. Hier lag seine eigentliche Leidenschaft und sein Talent, auch wenn man es dem kräftigen, jungen Mann mit den keltischen Wurzeln nicht wirklich zutrauen würde. Programme schreiben und hacken ... er war in der Hinsicht intelligenter, als man ihm zutraute.

Doch dabei wurde er beobachtet, auch wenn es Niemand bemerkte. Akio saß oben auf den Dachbalken und beobachtete den Nachtwächter, so wie schon seit einigen Nächten ... denn er war gern Nachts in der Bibliothek, um ein wenig zu lesen und an dem Graffity weiterzuarbeiten, das er auf dem Dach angefangen hatte. Wie immer, spionierte er die Routen und Zeiten der Nachtwächter aus und trainierte so seine Fähigkeiten ... denn der junge Mischling hatte von seinem indianischen Vater und seiner japanischen Mutter das Fehlen der Höhenangst, und noch andere Fähigkeiten geerbt. Und eine dieser Fähigkeiten war, daß er sich absolut lautlos bewegen und auch regungslos verharren konnte. Die letzten Tage beobachtete er jedoch diesen ungewöhnlichen jungen Mann, der sich immer wieder an den Computer setzte und dort konzentriert an einem Programm schrieb. Gerade das war etwas, das Akio niemals erwartet hätte und er beobachtete immer wieder fasziniert, wie sich der Rotblonde über einen Durchbruch freute oder einem Rückschlag ärgerte. Dabei fiel sein Blick allerdings auf die Kopien und er runzelte kurz die Stirn, denn es waren Kopien eines Geschichtsbuches für Kinder.

Nebenher speicherte Arthur immer wieder alles auf einer externen Festplatte, die er immer gut vor seinem Vater verbarg. Hier konnte er nichts speichern, denn die Computer waren so alt, daß alles gefährdet war, was er bisher geschrieben hatte. Nach der üblichen Zeit speicherte er wieder, nahm dann die Taschenlampe und ging wieder seine Runde. Er war nicht so dumm, immer gleich zu laufen, sondern änderte immer wieder seine Route. Erst nach der Runde nahm er seine Brotbox aus dem Rucksack, und aß ein paar Happen. Dazu trank er Kaffee mit Zucker und Milch, den er sich ebenso in einer Thermoskanne mitgenommen hatte.

Doch dabei wurde er wieder beobachtet und Akio lächelte, als er sah, daß der Nachtwächter erneut eine andere Route ging. Und wie die letzten Nächte, blieb der junge Mischling ihm auf den Fersen und verhielt auf einem der hohen Buchregale, da er so eine bessere Sicht auf ihn hatte. Die weichen Lederstiefel verursachten ebenso wie seine Lederrüstung keinerlei Geräusch ... und auch sein Atem war so weich, daß er nicht hörbar war. Akio betrachtete die so ungewöhnlichen rotblonden, langen Haare, die dieser Hüne im Nacken geflochten hatte ... die Seiten waren kurz, doch oben und im Nacken hatte er sie lang gelassen und es ließ ihn mehr als nur maskulin aussehen. Etwas, das dem Mischling ausnehmend gut gefiel - doch er blieb so ruhig und beobachtete ihn weiter.

Arthur bemerkte es wirklich nicht, denn Akio war einfach zu leise. Der Rotblonde aß in Ruhe auf, und setzte sich dann wieder an den Computer. Wieder arbeitete er gut eine Stunde daran, bevor er seine nächste Runde drehte. Da er jetzt aus einer anderen Richtung kam, bemerkte Arthur erst jetzt, daß oben auf dem Dach etwas anders war. Durch das große Glasdach konnte er sehen, daß dort an der Wand ein Graffiti gemalt worden war, und er fluchte leise. „Verdammt ... ich hoffe, das fällt keinem auf ? Aber es ist ja nicht hier drinnen.“ murmelte er, und lief zügig zu der Tür der Dachtreppe. Das wollte er sich aus der Nähe ankucken.

Als er sah, daß der Nachtwächter das angefangene Bild entdeckte, fluchte Akio innerlich und schlich ihm hinterher, auch wenn er dabei die Schatten der Ecken und Regale nutzte. Wie erwartet, war der Rotblonde schon auf dem Dach, so daß der Mischling behende die Treppe hinauf und durch die Türe laufen konnte, ehe er sich wieder in die Schatten duckte und durch seine schwarze Kleidung völlig getarnt war. Doch anders als er erwartete, schlug der Nachtwächter nicht sofort Alarm und fluchte über den Vandalismus ... sondern betrachtete verwundert das Bild, das Akio angefangen hatte. Es waren die Umrisse der Lichtschwingen von Suchar und Sheldan - und in der Mitte der stilisierten Schwingen schwebte das Kreuz der Garde, dessen gleichlange Seiten in der Mitte von dem Rubin gekrönt wurden, der in das Kreuz jedes Gardisten eingelassen und von Faron selbst erfüllt war. Noch existierten nur die Umrisse ... doch in den nächsten Tagen wollte Akio das Bild fertigstellen, wenn der Nachtwächter es nicht verhinderte.

Arthur würde es nicht verhindern ... es war deutlich zu sehen, daß erst die Umrisse gezogen waren, und irgendwie war er schon jetzt von dem Bild fasziniert. Er trat näher heran und schnupperte an der Farbe. Sie war neu, aber nicht ganz frisch - also war der Sprayer schon kurze Zeit weg. „Oh, Mann ... eigentlich müßte ich das melden, aber es wird irre schön werden. Ich hoffe, daß keiner von da nach oben kuckt, wo ich stand.“ Nur von da konnte man es sehen. Er brauchte den Job und hoffte wirklich, daß er deswegen nicht gekündigt wurde, weil er erst knapp vier Wochen hier arbeitete.

Nun doch ein wenig hellhörig werdend, runzelte Akio die Stirn - doch dann nickte er langsam und ein Plan formte sich in seinen Gedanken. Es gab eine Möglichkeit für ihn, eine Entdeckung von unten zu verhindern - und genau das würde er tun, wenn der Nachtwächter wieder nach unten gegangen war. Also wartete Akio geduldig und verborgen in den Schatten, bis der Rotblonde wieder nach unten ging, ehe er sich ein wenig weiter vorwagte und die Augen schloß. Eine der Fähigkeiten, die er von seinem indianischen Vater erbte und durch das Erbe seiner japanischen Mutter noch verstärkt wurde war das Talent, wilde Magie zu fühlen und sie ein wenig zu leiten ... wilde Magie, die sich vor allem in den Schatten zeigte, die ihn oft verbargen oder nun wie hier über das Glas legten, so daß man das Bild von unten nicht mehr sah. Als Akio die Augen wieder öffnete, nickte er und senkte demütig den Blick, nahm eines seiner Wurfmesser auf und den Handschuh der Linken ab, stach sich in seinen Finger und ließ zwei Tropfen Blut auf das Dach in die magisch erschaffenen Schatten fallen, die die Tropfen auch sofort absorbierten. Seine Selbstheilung sorgte dafür, daß die Wunde sich sofort schloß und Akio zog den Handschuh wieder über, steckte das Messer ein und lief über das Dach, um sich am Rand abzustoßen, auf das nächste Dach zu springen und dort gekonnt durch eine Rolle abzufangen. Für diese Nacht hatte er genug erfahren und lief nun über die Dächer der Stadt zu seiner kleinen Dachwohnung,  um dort zu ruhen ... denn er hatte am nächsten Tag noch viel zu erledigen.

 

}|{

 

Am nächsten Abend war Arthur wieder pünktlich bei der Arbeit. Er hatte aber nur kurz schlafen können, und wirkte etwas müde. Am Morgen hatte er wie immer seinem Bruder das Frühstück gemacht, ebenso seinem Vater und sich selbst. Danach half er Marlon beim Lernen und machte dann Mittag für sie alle. Sicher aßen sie nicht zusammen, denn sein Vater war immer gereizt, wenn er Marlon sah, und hatte ihn auch schon einige Male geschlagen. Seitdem blieb sein Bruder unten im Kellerzimmer und ging nur nach oben oder draußen, wenn ihr Vater bei der Arbeit war. Die Zeit nutzte Arthur dann um zu schlafen, es sei denn, da kam was dazwischen. Heute war es wieder soweit gewesen. Ein Mann aus einer der Motorradgangs hatte Marlon gesehen und quer durch die Gegend gejagt. Arthur hörte es zum Glück, und danach hatte der Kerl eine gebrochene Nase und ein paar gebrochene Rippen. Arthur bekam dafür mehr Respekt und die Männer waren gewarnt, daß sie Marlon gefälligst in Ruhe lassen sollten, wenn sie nicht im Krankenhaus landen wollten.

 

}|{

 

Diese Nacht wartete Akio schon in der Bibliothek auf einem der Regale auf den neuen, jungen Nachtwächter, den er so gerne beobachtete. Als dieser jedoch kam, fielen ihm sofort die leichten Wunden an den Fingerknöcheln auf und der schlankere Mischling runzelte kurz die Stirn, denn der so ruhige Rotblonde schien nicht die Sorte an Kerl zu sein, die sich dauernd prügelte. Also mußte etwas anderes passiert sein, denn eigentlich würde alleine die große und kräftige Gestalt mögliche Angreifer sofort abhalten und Akio wurde neugierig. Bisher deutete eigentlich nichts darauf hin, daß dieser Abend anders war ... doch dann sah er eine leichte Unruhe in dem Nachtwächter und daß dieser mit sich kämpfte, und schließlich sein Handy herauszog und eine Nummer wählte.

Arthur wollte seinen Bruder lieber nochmal anrufen, weil Marlon doch noch immer recht verstört war, als er ihn alleingelassen hatte. „Hey, Kleiner ... ich wollte nur horchen wie es dir geht, und ob Paps ruhig ist.“ Daß es so war, hoffte Arthur sehr. Sein Vater war heute ruhiger gewesen ... wahrscheinlich, weil er nun auch wußte, wozu sein ältester Sohn fähig war, wenn er wütend wurde. Trotzdem blieb die Unruhe in Arthur und er wollte gern wissen, wie es Marlon im Moment ging.

Dem Jungen ging es sofort besser, als er die Stimme Arthurs hörte und er lächelte, als er sich ein wenig tiefer in die Decken kuschelte. "Jetzt geht es besser und ja, Paps ist ruhiger. Es sind einige seiner Freunde oben und er prahlt damit, daß du es dem einen Mann gezeigt hast und nicht mehr die Memme wärst, für die er dich hielt. Ich verstehe ihn nicht, Art ... wie kann er stolz darauf sein, daß du einen Mann zusammengeschlagen hast, damit er mir nichts tut ? Und gut, daß die Türe so stark ist, sonst hätte ich jetzt Angst vor den Männern."

„Ich bin froh, daß es dir besser geht. Und du weißt doch, wie sehr Dad auf unsere keltischen Vorfahren pocht. Daß wir von einem alten Kriegerstamm abstammen. Ich hab mich das erste Mal richtig geprügelt und gewonnen, da zeigt er plötzlich Stolz.“ Aber das auch nur, bis er wieder so besoffen war, daß er nicht mehr klar denken konnte und selbst wenn nicht, Morgen sah seine Meinung eh wieder ganz anders aus. „Versuch jetzt noch zu schlafen und setze dir einfach die Kopfhörer mit der Musik auf, dann hörst du sie nicht reden und herumpoltern.“

"Ist gut, Art ... werde ich machen." Als sie sich verabschiedeten, seufzte Marlon leise und legte das Handy auf die Seite, nahm die Kopfhörer und stellte seinen MP3-Player an, damit er die Männer oben nicht mehr hörte. In der Bibliothek runzelte Akio die Stirn, als er das hörte und grübelte ein wenig ... denn so bekam vieles einen Sinn. Zuerst die Kopien, die er gestern gesehen hatte und die der Nachtwächter auch diese Nacht machte - und auch der Widerspruch der leicht zerschrammten Knöchel, obwohl dieser große Rotblonde überhaupt keine Aggressivität zeigte. Dieser junge Mann war ein einziger Widerspruch - und Akio schmunzelte lautlos, als er bemerkte, wie er immer interessierter an ihm wurde.

Arthur war jetzt leichter ums Herz und er suchte seinem Bruder wieder etwas aus dem Büchern heraus, um danach wieder seine Runde zu laufen. Diesmal lief er aber gleich so, daß er von unten hinauf zu dem Graffiti kucken konnte und er verengte die Augen, als er nichts erkannte. „Huh ? Ist es doch schon weggemacht worden ?“ Nun doch erstaunt, ging er wieder zu der Treppe und stieg auf das Dach, weil er nachsehen wollte.

Und auch diesmal folgte ihm Akio unerkannt in den Schatten, da er gespannt darauf war, wie der junge Nachtwächter darauf reagierte daß er schon damit begonnen hatte, die erste Lichtschwinge auszufüllen.

 

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