Balken01a


”Ein Dämon, der auszog, sich ein Engelchen zu fangen ... und etwas völlig anderes bekam.” 05
 

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Es dauerte ein wenig, bis sie unten im Hof ankamen, da Avelles Zimmer recht hoch lag – doch alleine schon der Anblick des weiten Hofes entschädigte den Geflügelten für alles, als er jetzt ins Sonnenlicht treten durfte und neben seinem Gast stand, die Augen schloß und das Gesicht zur Sonne drehte, um dies sichtbar auszukosten. Ein leichter Wind spielte sanft mit den hellen Federn der noch geschlossenen Flügel, doch Avelle breitete sie nicht aus – noch genoß er es einfach nur, hier zu stehen, und wartete ab, was weiterhin passieren würde.

Thyrock stand einfach nur daneben und nahm das Bild in sich auf. Genau das hatte er sehen wollen – dieses zarte Lächeln auf den weichen Lippen. "Du kannst gehen – ich kümmere mich um den Rest." knurrte er den Knaben an. Der störte das Bild einfach. Der Junge sah ihn an, zuckte die Schultern und ging. Er wäre sowieso nicht kräftig genug, einen Dämon zu halten.

Sicher stand er nun um irgendeine Ecke, um Thy daran zu erinnern, dass er noch einen Vertrag mit dem Haus hatte. Doch daran wollte er jetzt nicht denken.

Davon wußte Avelle aber nichts, als er die Augen wieder öffnete, zu seinem Gast sah und langsam zu ihm kam, um seine Schwingen zu öffnen und schon fast scheu um ihn zu legen. "Das ist wunderschön, Herr ... ich weiß nicht, wie ich euch danken soll. Alleine schon das Gefühl, die Sonne und den Wind auf meiner Haut und auf meinen Flügeln zu fühlen, ist so unbeschreiblich, daß es fast aus mir herausbricht. Ich ..." Der Geflügelte verstummte, als ihm die Worte fehlten – er zögerte noch, doch dann stellte er sich auf die Zehenspitzen, legte die Arme um den Nacken des Jungdämons und küßte ihn, doch anders als zuvor merkte man ihm sein inneres Feuer und die Lebensfreude an, die alleine schon die Sonne und der Wind in ihm weckten.

Thyrock war sichtlich zufrieden mit sich selbst, als er die Hitze und die Glut endlich wahrnehmen konnte. Er hatte immer gespürt, daß mehr in Avelle schlummerte als nur das, was er zu sehen bekommen hatte. Nun wusste der Dämon, dass er Recht gehabt hatte. Sein Hände legten sich auf Avelles Rücken, strichen kurz über die Flügelansätze und die kräftigen Muskelstränge. Er konnte spüren, wie sie in Vorfreude zuckten.

"Flieg, Avelle, flieg." wisperte er zart gegen die weichen Lippen und leckte noch einmal darüber.

Bei den weichen Worten erschauerte der Geflügelte fühlbar und ein leiser, schon fast sehnsüchtiger Laut löste sich aus seiner Kehle, als er der ihn neckenden Zunge Thys noch entgegenkam. Doch nach einigen Herzschlägen fühlte Avelle, wie sein Gast die Umarmung löste und einen Schritt zurücktrat, während er darauf wartete, daß er ihm gehorchte. Fliegen ... der Traum, den er schon so lange vergraben hatte, tauchte wieder auf und er öffnete die Schwingen weit, schlug einmal kurz, um sie zu lockern und fühlte, wie die schon so lange nicht mehr gebrauchten Muskeln vor Vorfeude schon fast erwartungsvoll bebten. Es war nur ein kurzer Traum, das ahnte Avelle – doch es bedeutete ihm viel, daß Thy es ihm ermöglichte. Ohne noch weiter zu zögern, legte der Weiße die Schwingen wieder halb an, sprang auf und schlug mit den Schwingen, sobald er eine leichte Höhe erreicht hatte und höher steigen konnte. Ein lauter, freudiger Schrei entrang sich seiner Kehle, der von einem ebenso lauten, befreiten Lachen begleitet wurde ... die glutgoldenen Federn schimmerten in der Sonne wie lebendes Gold, als Avelle höher stieg und einen leichten Kreis zog, um auf den kräftigen Winden zu gleiten.

Sehnsüchtig sah ihm Thyrock hinterher. Das helle Lachen stach ihm durch den Leib, ohne dass er wirklich wusste, warum. Immer höher stieg Avelle, immer größer wurden die Kreise – es war ein majestätisches Bild. Er bemerkte nicht, wie Maximilian Gondor zu ihm trat und etwas hinter ihm stehen blieb. Thyrocks Kopf lag nur im Nacken. Eine Hand schützte die Augen vor der grellen Sonne und dann verschwand Avelle plötzlich aus seinem Blickfeld. Thyrock stutzte, doch dann glitt der dunkle Schatten wieder über den Hof, nur um erneut abzutauchen und aus seinem Blick zu verschwinden.

Doch dieses mal kehrte der Schatten nicht zurück – was war passiert ? Suchend blickte Thyrock immer wieder in den Himmel über dem Hof, doch er blieb leer. Nein ! Das durfte doch nicht sein ! Hatte er sich wirklich in Avelle getäuscht ? Hatte er ihn so an der Nase durch den Ring führen können.

"Ihr habt doch selbst gewusst, daß er nicht zurückkommen wird, Lord Thyrock." hörte er plötzlich die leise Stimme Maximilians hinter sich. Doch der junge Dämon wandte sich nicht um.

"Er wird zurückkehren." sagte er nur und schluckte hart. Er hatte sich wirklich mit Blindheit schlagen lassen und musste jetzt wohl wirklich dafür bezahlen. Das konnte doch nicht sein ! Warum tat Avelle das ?

Wieder glitt sein Blick durch den Himmel.

"Lord Thyrock, er wird nicht kommen – seid ihr nun bereit, euren Teil des Vertrages zu erfüllen ?"

"Er darf seit Jahren das erste Mal fliegen – er kostet es nur aus, er wird zurückkehren !" Thyrock ließ sich nicht beirren.

Von all dem ahnte Avelle nichts, als er in die Wolken vorstieß und ein weiteres Mal vor Freude lachend den Kopf in den Nacken warf. Schnell war er durch die Wolken und genoß die helle Sonne, die ihn über den Wolken umfing – doch dann ließ er sich wieder fallen und flog, ging an seine Grenzen und genoß mit einem strahlenden Lächeln die Geschwindigkeit, die er erreichte. Doch er hielt sie nicht lange, sondern wurde wieder langsamer, um den Ausblick zu genießen. So viel Zeit war vergangen, seit er das letzte Mal einen solchen Ausblick genießen konnte ... es war atemberaubend, und als er schließlich über einen Wald flog, sah er am Waldrand an der angrenzenden Ebene einige Rehe, die ihm eine willkommene Beute waren. Ohne weiter zu zögern, ließ Avelle sich fallen und schlug Krallen und Fänge in das heiße Fleisch eines Rehs und tötete es – allein schon der Rausch dieser Jagd ließ jeglichen Gedanken verwehen und er genoß das frische Fleisch, seufzte leise und aß sich satt, um dann einfach nur die Sonne zu genießen, die seinen Körper und die goldenen Schwingen wärmte.

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"Tragt es mit Fassung, er ist nicht zurückgekehrt." Maximilian Gondor wirkte sichtlich zufrieden. Sein Meister würde sich freuen, dass er eine solche Beute für den Palast gemacht hatte – wer hatte schon einen Prinzen der Feuerdämonen in seinen Reihen und konnte ihn als Sklaven anbieten ? Und dann war der Kerl ihm auch noch freiwillig ins Netz gegangen, was Besseres hätte ihm doch gar nicht passieren können.

Doch Thyrock reagierte gar nicht. Er wusste nämlich noch nicht, was er eigentlich empfinden sollte. Trauer darüber, dass Avelle es so leicht gefallen war, ihn zurückzulassen ? Oder einfach nur unbändige Wut auf diesen beschissenen Sklaven und vor allem auf sich selbst, dass er sich so hatte täuschen lassen. Wie blind war er doch von Avelles Schönheit und seiner Zurückhaltung gewesen ! Wie dumm ! Wie benebelt !

Wütend ballte er die Fäuste, als er sich durch die Gänge des Palastes führen ließ. Aber nicht mehr als Besucher, sondern als Insasse. Mittlerweile war es für ihn kein Palast mehr, sondern ein Knast, und wenn sein Vater erfuhr, was er für Mist gebaut hatte – und vor allen Dingen warum – dann brannte die Hölle und dieses Feuer würde selbst dem Feuerdämonen noch das Fürchten lehren.

"Da wären wir – dies wird euer Zimmer sein." Maximilian stoppte und Thy, der ihm vorangegangen war, blieb ebenfalls stehen und wandte sich um. "Das Zimmer der Glücksträne.", sagte er, doch der Dämon sprach noch immer kein Wort, auch wenn er so Einiges zu diesem albernen Namen zu sagen hätte. Er wusste, machte er jetzt den Mund auf, würde eine Salve an Flüchen herniederbrechen, die seiner nicht würdig war.

Schweigend ging er durch die Tür und hörte nur noch, wie die Tür ins Schloss fiel.

"Avelle, du Ratte, wenn ich hier raus bin, werde ich dich jagen und dich zur Strecke bringen.", knurrte der Dämon, es war keine Drohung – es war ein Versprechen !

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Von all dem ahnte der Geflügelte jedoch nichts, er genoß seine Freiheit und erst nach einer Weile wurde ihm bewußt, daß schon mindestens zwei Stunden vergangen waren. Einen winzigen Moment lang kam ihm der Gedanke, daß er fliehen konnte – er schien weit genug vom Palast weg und bisher war ihm auch Niemand gefolgt und hatte ihn wieder eingefangen. Der Gedanke war mehr als nur verlockend ... endlich wieder frei, die Möglichkeit, zu fliegen und vielleicht auch wieder in seine Heimatwelt zu gelangen. Doch dann kam ihm ein anderer Gedanke und Avelle seufzte leise, als er umdrehte und zielsicher den Weg einschlug, der ihn zu dem Palast zurückführte. So herrlich die Freiheit auch schien – er mußte zurück, denn er war nicht freigekauft worden. Während er zurückflog, ging auch die Sonne unter und das Licht wurde spärlicher, so daß es schwerer für den Geflügelten wurde, den Weg zu finden. Doch endlich sah er die Lichter des Palastes und seufzte erleichtert, da er schon befürchtet hatte, den falschen Weg eingeschlagen zu haben. Als er aber auf dem Hof landete, runzelte Avelle die Stirn, denn Niemand kam, um ihn wieder in Ketten zu legen – nicht einmal der Gast war zu sehen, der ihm so großzügig die Möglichkeit verschafft hatte, ein wenig zu fliegen. Einige Momente lang war der Geflügelte einfach nur verwirrt und wartete – doch dann sprang ihn plötzlich eine ungute Vorahnung an und das leichte Gold, das sich durch den Flug auf seiner hellen Haut gebildet hatte, wich schlagartig aus seinem Gesicht. Ohne weiter zu zögern, sprang Avelle wieder auf und flog zu dem Fenster seines Zimmers – auf dem Vorsprung davor konnte er gut landen und ein erschrockener Aufschrei löste sich aus seiner Kehle, als er Thy in seinem ehemaligen Zimmer sah, gekettet, entkleidet und mit dem Schmuck behangen, der zuvor auf Avelles Haut gelegen hatte.

Nur kurz zuckte der Kopf des Dämons hoch – der Letzte den er jetzt in seiner Schmach noch sehen wollte, war Avelle. "Verzieh dich, Mistkerl !" zischte er nur und wandte sich ab. Er saß auf dem Bett, die ledernen Flügel zog er dichter um sich – er wollte nicht, dass der ehemalige Sklave ihn so sah, durch seine eigene Dummheit, durch seine Vertrauensseligkeit in Ketten geschlagen.

Das Erste, was er als Dämon gelernt hatte: Vertraue Niemandem – und kaum verließ er den Palast ? Er hatte es doch wirklich verdient, wenn er so dumm war, zu glauben, Avelle wäre eine ehrlich Haut. Verdammt, er konnte es ihm doch nicht einmal verübeln, dass er seine Chance genutzt hatte. Doch daß er zurückkam, um ihn zu sehen, um sich an seinem Schicksal zu weiden, das war zuviel.

Eine Kugel Feuer formte sich auf Thyrocks Hand und schoss in Richtung des Fensters. "Hau ab – verdammt !"

Mit einem leisen Aufschrei duckte sich der Geflügelte, auch wenn er nicht mehr völlig ausweichen konnte und sowohl einige Federn wie auch seine Schulter von dem Feuer verbrannt wurden. Er verstand nicht, was hier passierte – und der Schmerz der nur langsam heilenden Wunden half dabei auch nicht gerade gut. "Herr – wieso seid ihr hier ? Und wieso tragt ihr die Ketten ? Meister Gondor sagte doch nur, daß ich fliegen darf – er hat keine Frist genannt, ich habe doch nur euren Wunsch erfüllt ? Wieso wurdet ihr nicht im Hof bedient und von den Sklaven versorgt wie die anderen Gäste, die Sonderwünsche haben, Herr ? Ich verstehe das nicht !" Mit jedem verstreichenden Augenblick wuchs die Panik in dem Geflügelten, denn er merkte schnell, daß hier etwas falsch gelaufen war – doch er wußte nicht was und Thyrock war so wütend, daß er ihm Angst machte.

Er antwortete ihm ja nicht einmal. Er hatte zwar die leisen Schmerzenslaute vernommen, es tat ihm sogar leid, doch er ließ es sich nicht anmerken. Er wollte wütend sein, und wenn er schon nicht auf sich selber wütend sein konnte, weil er so dumm gewesen war, sich über den Tisch ziehen zu lassen, dann musste eben Avelle herhalten. Schließlich war der jetzt frei und Thyrock hatte seinen Platz eingenommen.

"Verschwinde Avelle – geh einfach !" knurrte er nur und zog seine Flügel dichter um sich. Er war randvoll mit Widersprüchen, mit Empfindungen. Er war hin und her gerissen. Was wollte der Key noch hier ? Sich an seinem Anblick weiden ? An seiner Dummheit ?

Wütend erhob sich Thyrock und funkelte Avelle vor dem Fenster an. Er wollte die Wunden nicht sehen, also wandte er sich wieder ab. "Wenn du genug gesehen hast, lass mich endlich allein – du bist frei !"

Erst jetzt, als ihm Thy das sagte, begriff der Geflügelte – hier war es nicht darum gegangen, wie lange er hätte fliegen dürfen. So, wie es aussah, hatte Gondor ihn getestet; und alleine schon die Tatsache, daß er weggeflogen war, schien Grund genug, daß Thy verlor und seine Stelle einnehmen mußte. Diese Erkenntnis erschlug Avelle fast und er schluckte schwer, setzte sich auf den Vorsprung mit dem Rücken zu dem Fenster über sich und zog die goldenen Schwingen um seinen Körper, während er den Kopf auf die Knie legte und die Augen schloß. Er war frei – aber diese Freiheit war mit einem viel zu hohen Preis erkauft worden und besaß einen solch bitteren Beigeschmack, daß es den Hellen fast würgte. Er hörte durch das Fenster, wie Thy ins Bad ging und die Türe schloß, damit er alleine sein konnte. Doch Avelle blieb, wo er war - selbst, als die Nacht völlig hereinbrach, und harrte aus, auch wenn er nicht wußte, auf was er wartete.

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Da Feuerdämonen nicht besonders gut auf Wasser zu sprechen waren, saß Thyrock nur im Bad, hatte sich kein Wasser eingelassen – nicht geduscht. Viel zu sehr erinnerte ihn das ganze Zimmer an Avelle. An das schüchterne Lachen, die sanfte Stimme, die unglaublichen Augen. Thyrock wurde fast wahnsinnig. Hatte es nicht gereicht, ihn einzusperren ? Musste es der Raum sein, in dem er verraten worden war ?

Durch das Glas im Dach des Zimmers bemerkte Thyrock, dass es dunkelte. Es war kein durchsichtiges Glas. Es wirkte mehr wie trüber Kristall. Unvergittert und deswegen sicher kaum zu durchbrechen.

Es mussten Stunden vergangen sein, hoffentlich war Avelle endlich weg. Er wollte ihn nicht sehen, nicht, weil er immer noch wütend war, sondern weil der Anblick einfach schmerzte. Er konnte nicht mehr bei ihm sein. Langsam schlurfte er aus dem Bad, die schwere Kette rasselte und er musste ab und an seinen Schweif höher ziehen, damit die Kugel, die am Ende hing, nicht darüber rollte.

Es war ein Instinkt, dass er zum Fenster sah und er schluckte, als die letzten Sonnenstrahlen, die über dem Horizont schimmerten, sich auf den glänzenden Federn des Keys brachen.

"Was willst du noch hier ?" fragte Thy nur, doch seine Stimme war nicht mehr abweisend und schneidend. Langsam kam er näher, nicht wissend, warum eigentlich.

Als die Stimme erklang, wachte Avelle wieder auf und hob den Kopf, drehte sich und sah zu dem jungen Dämonen, der langsam zum Fenster kam. Der Geflügelte war unsicher, wie Thy reagieren würde, doch er stand trotzdem auf und umfaßte die Fenstergitter, während er die Schwingen wieder anlegte. "Weil ich hierhergehöre und nicht ihr, Herr ... es ist nicht richtig, daß ihr jetzt hier seid. Ich hätte niemals wegfliegen dürfen, es ist meine Schuld ... ich wollte das nicht, ich ...." Zum Schluß hin wurde die Stimme des Hellen immer leiser, bis er schließlich verstummte und mit sichtlichem Schmerz den Schmuck und die Ketten betrachtete, die Thyrock fesselten.

"Schau mich nicht so an, das ist mir unangenehm." sagte Thyrock nur und wandte sich wieder ab. Er konnte Avelle noch immer nicht ansehen. "Dass ich hier bin, hat schon alles seine Richtigkeit. Das war der Preis dafür, dich fliegen zu sehen – ich kann’s dir nicht mal verübeln dass du dich abgesetzt hast. Ich war so blind ..." murmelte er nur vor sich hin und trat vom Fenster weg. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand daneben und atmete tief durch.

"Du bist frei, Avelle – mach dass du wegkommst, ehe sie dich wieder einfangen und alles umsonst war."

"Das ist mir egal, Herr – es ist nicht richtig, daß ihr hier seid. Bitte, ruft Meister Gondor, damit er wieder mich an eurer Statt in das Zimmer nimmt ... ich kann ihn nicht erreichen, meine Gedanken können nicht mehr in das Innere des Palastes gelangen." Avelle klammerte sich noch immer an das Gitter des Zimmers fest und merkte gar nicht, daß seine Krallen über das Metall kratzten und absplitterten ... langsam erwachte Panik in dem Geflügelten und er keuchte leise, ehe er wieder in die Knie sank und die Stirn an den kühlen Stein legte, um sich wieder zu beruhigen.

"Ich werde gar nichts tun, Avelle. Ich wollte dich fliegen sehen und zahle jetzt den Preis dafür. Also, wenn ich hier schon einsitze, dann flieg wenigstens – so weit wie du kannst." Thyrocks Kopf sank weit in den Nacken, bis er gegen den Stein schlug. Er knurrte kurz auf, doch er verharrte in seiner Gestalt. Er merkte gar nicht, wie sein Schweif suchend zum Fenster rüberschlich und durch das Gitter tastete.

"Du kannst nicht da draußen bleiben, wenn du einschläfst und abstürzt. Na los – verschwinde doch endlich."

Bei der sachten Berührung der Schweifspitze erschrak der Geflügelte, doch er beruhigte sich sogleich wieder, als er sah, um was es sich handelte. Leise schnurrend, schmiegte er sein Gesicht an die breitere Spitze und schloß die Augen, ehe er ihm leise antwortete. "Nein, Herr ... ich bleibe hier, bei euch. Macht euch keine Sorgen, ich stürze nicht ab – der Vorsprung ist breit genug für mich." Langsam erwachte wieder das eigentliche Wesen Avelles, sein Widerspruchsgeist rührte sich – doch diesmal war es anders, er bockte nicht, sondern widersprach aus einem anderen Grund. Einen jeden anderen Gast hätte er mit Freuden zurückgelassen und seine Freiheit in vollen Zügen genossen – doch nicht diesen hier. Auch wenn es schlichtweg kindisch, dumm und sentimental war ... er entwickelte Gefühle für den jungen Feuerdämon und wollte nicht weg und ihn hierlassen.

"Wie – Nein !" fragte Thyrock plötzlich nach und wandte sich wieder dem Fenster zu. Dabei zog sich sein Schweif zurück. Aber nicht, weil das Kosen unangenehm gewesen wäre, sondern weil er so überrascht war. Es war doch gar nicht Avelles Art !

"Du nennst mich doch immer noch Herr, also hast du auch meiner Order zu folgen. Mach dich vom Acker und such dir ein nettes Flattermann-Weibchen !" murmelte er vor sich hin, doch der Gedanke, Avelle wirklich von sich eilen zu sehen, tat irgendwie weh. Doch er musste Avelle von sich schicken, wenn er nicht wollte, dass er in einem weiteren dieser Zimmer sein Dasein fristete.

Wie sehr diese Worte den Geflügelten verletzten, sah man ihm überdeutlich an – doch dann wandelte sich sein Gesichtsausdruck und er knurrte leise, zog die Lippen über die langen Fänge zurück und stand wieder auf, um dem jungen Dämon in die Augen sehen zu können. "Ich sagte Nein ! Und ich werde mir verdammt noch mal kein Weibchen suchen ! Ihr seid mein Herr – und ich bleibe hier, egal, was ihr sagt !" Gerade die Bemerkung mit dem Weibchen hatte Avelle sehr veletzt, doch sie hatte auch seine Wut geweckt und er pfiff gerade darauf, daß er Thy eigentlich gehorchen sollte. Diesem Befehl würde er ganz bestimmt nicht folgen – und erst recht nicht dem anderen.

"Es ist egal, was ich sage ? Kann das sein, dass du mir gerade den Gehorsam verweigerst ?" knurrte Thyrock, doch er musste zugeben, dass der Flattermann so noch viel anziehender auf ihn wirkte. Nicht verschüchtert, zurückhaltend und unterdrückt, sondern aufbrausend und dickköpfig. Er wäre ein würdiger ... Partner. Thy grinste etwas schief bei dem Gedanken. Er begriff wohl langsam, warum er sich auf diesen bescheuerten Deal eigentlich eingelassen hatte. Es war nicht, weil er Avelle hatte fliegen sehen wollen, sondern weil er ihn glücklich sehen wollte. Eine seltsame Art, die er da an den Tag gelegt hatte.

"Wirst du aufmüpfig, jetzt, wo du auf der anderen Seite der Gitter stehst ?" Sein Schweif zuckte nervös hin und her und auch die Flügel streckten sich immer wieder aus. Er wirkte sichtlich unausgeglichen. Hitze kroch ihm den Rücken hinab bis in die Knie. Bei diesem Blick wurden sie irgendwie weich. Warum nur ?

Die Frage ließ Avelle erneut aufknurren und er kam näher an das Gitter, während er seine schon fast vor Wut glühenden Augen verengte. "Natürlich verweigere ich den Gehorsam, wenn ihr mir so etwas befehlt ! Und das hat nichts mit den Gittern zu tun, oder wo ich stehe - wenn es nach mir gehen würde, wäre ich bei euch und ihr hättet nicht diese verdammten Ketten um euren Leib !" Ein wenig schwerer atmend, verstummte der Weiße und achtete gar nicht darauf, daß seine Krallen sich weiter in das harte Metall gruben und erneut leicht splitterten ... das in ihm schlummernde Feuer, das er letztlich bei Thyrock unterdrückt hatte, brach nun ungehindert aus und daß er die Berührungen des jungen Feuerdämons vermißte, unterstützte dieses Verhalten noch beträchtlich.

"Avelle, es war meine Entscheidung ! Also hör auf, Okay ? Passiert ist passiert." Thyrock wurde auch langsam wütender. Alles andere in ihm verstummte wieder und er sah den Key eindringlich an. "Es ändert nichts mehr daran, dass ich hier drinnen stecke – so !"

Er trat einen Schritt zurück und ließ den Key ruhig auf sich hinabsehen. Dann wandte er sich unvermittelt um und ging wieder tiefer in das Zimmer. Er war außer sich. Warum verweigerte der Key plötzlich seine Order ? Konnte er nicht einfach gehen und ihn in Ruhe lassen ? Ihm sein letztes Bisschen Würde lassen ? Nein, da hockte der Typ da draußen, betrachtete ihn wie ein Tier im Käfig. Thyrock kam sich so gedemütigt vor, doch er würde das nie zugeben.

Immer noch den Gittern den Rücken zugewandt, breitete er in dem dunklen Zimmer die Arme aus und ließ wieder zwei Feuerbälle auf den Handflächen tanzen. Sie erhellten den Raum und ließen unruhige Schatten über die Wände toben. "Zwing mich nicht dich noch einmal anzugreifen, Avelle. Ich bitte dich."

Thy senkte den Kopf – er fühlte sich, als hätte er verloren.

Ihm antwortete nur ein kurzes Schnauben – dann schüttelte der Geflügelte kurz den Kopf und antwortete noch ein leises "Ich bleibe hier.", ehe er sich umdrehte, wieder hinsetzte und die Schwingen um seinen Körper legte. Langsam wurde es kalt – doch Avelle war es noch von früher her gewohnt, so daß die Kälte ihm nichts machte, da sein Körper von alleine heißer wurde und die glutgoldenen Federn ihn mehr als nur gut wärmten. Natürlich war ihm bewußt, daß er Thy mit seiner Antwort erzürnte – und er war sich auch bewußt, daß dieser mit Feuerkugeln spielte. Doch diese Gefahr ging er ein, denn er würde seine Meinung nicht ändern.

Aber der Dämon warf die Kugeln kein zweites Mal. Er hatte die zarten Narben und auch die Wunden gesehen. Er wollte nicht, dass dieser perfekte Körper noch einmal so geschändet wurde. Er ließ die Flammen versiegen und murmelte nur leise. "Sturer Hund." Doch auf seinen Lippen lag ein Lächeln. Dabei war seine Situation nicht gerade berauschend – er war verkauft. Er hatte sich selber für ... für einen Anderen verkauft. Für einen Sklaven. Wenn sein Vater davon erfuhr, dann wackelte bestimmt der Palast und Thyrock wurde entthront. Er konnte von Glück reden, wenn er keine härtere Strafe erdulden musste und seine Flügel verlor.

Thy seufzte. Was machte er sich darüber Gedanken ? Er war nicht zu Hause und sein Vater hatte keinen Schimmer, was passiert war. Er war hier gefangen und abstruserweise stand der, den er freigelassen hatte, vorm Fenster und wollte hier rein. Das war schräg – aber echt.

Langsam ging er zurück, die Kugel in der Hand und die Kette gestrafft, um sich nicht zu verraten. Dann ließ er sich vor dem Fenster auf den Boden sinken. Er wollte Avelle nah sein, wusste selbst nicht warum.

Doch auch diesmal wachte der Geflügelte nicht auf, da er die Schritte Thys nicht als Gefahr sah – er schlief lediglich ein wenig ruhiger und tiefer, eingehüllt in die Wärme seiner Federn. In seinen Träumen erwachte der Konflikt in seinem Inneren jedoch zum Leben, kämpfte sich wirr aus dem Unterbewußtsein herauf und bekam in den Träumen beängstigende Substanz, auch wenn man diese Träume von außen nur durch den schnelleren Atem und das leicht unruhige Bewegen der Schwingen erahnen konnte.

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