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”Eine Mondnacht in Venedig” 06
 

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Als die Sonne am nächsten Morgen durch die Vorhänge spitzte, wachte Giancarlo gewohnheitsmäßig auf ... im ersten Moment wußte er nicht, wo er war, doch dann lächelte er und drehte sich ein wenig zur Seite, um Raffaele zu betrachten. Der Ältere schlief noch, doch er hatte ein sanftes Lächeln auf den Lippen - und dies ließ Carlo ebenfalls lächeln, denn nach dieser erfüllten Nacht wunderte ihn dies nicht. Sie hatten sich noch lange und ausgiebig miteinander vergnügt und einander immer wieder befriedigt ... und schließlich schliefen sie zufrieden und gesättigt ein, die Körper noch immer in einer zärtlichen Umarmung. Während der Nacht war die Maske ein wenig verrutscht und Carlo nahm sie ab, betrachtete seinen Schwarm mit einem noch tiefer werdenden Lächeln und küßte ihn liebevoll auf die Lippen, ehe er sich wieder zurücklegte und die Maske aufsetzte.

Gerade rechtzeitig, denn der Kuss weckte den Schlafenden und Raffaele schlug die Augen auf. Er wusste, wo er war und was passiert war. "Du hast mich ausgelaugt." flüsterte er sanft und streckte sich kurz, bevor er sich leicht aufrichtete und zu dem noch immer Maskierten blickte. Jetzt, wo es hell war, sah er den Körper richtig, es war ein wirklich schöner, junger Mann und irgendwie kam ihm dieser Körper ein wenig bekannt vor. "Die Nacht ist um, ein neues Jahr ist angebrochen. Darf ich jetzt sehen, wer hinter der Dämonenmaske steckt?"

Leise seufzend, schloß Giancarlo die Augen ... er wußte, daß dieser Moment kommen mußte, doch er hatte gehofft, daß es noch ein wenig dauerte. "Ja, ein neues Jahr – und ich hoffe, daß es ein gutes Jahr werden wird. Bitte versprich mir, daß du mich anhörst und mich nicht sofort rauswirfst, Raffaele. Bitte?"

Obwohl die Stimme verstellt war, bemerkte Raffaele etwas Bekanntes. Er wusste nicht, was es war, aber es war ihm bekannt. "Warum sollte ich?" fragte er leise und betrachtete den Mann vor sich erneut etwas genauer. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht, sein Misstrauen war ihm jetzt langsam anzusehen.

Carlo nickte nur, neigte sich vor und küßte Raffaele sanft und liebevoll. Es war ein völliger Gegensatz zu den Küssen, die sie in der Nacht geteilt hatten ... doch in ihm lag all die Liebe, die er für den Älteren empfand, ehe er den Kuß wieder löste und sich leise seufzend zurücklegte. Dann schloß er die Augen und nahm die Maske ab, öffnete die Augen wieder und sah in die seines Gönners.

Dieser zärtliche Kuss hatte Raffaele einen Moment aus dem Konzept gebracht, doch dann sah er, daß Giancarlo unter der Maske steckte. Dessen Blick zeigte, wie leid es ihm tat und wie sehr er ihn liebte. Trotz allem wusste Raffaele einen Moment nicht, was er sagen sollte, seine Augen waren deutlich geweitet und man sah ihm an, daß er es fast nicht glauben wollte. "Warum hast du das getan? Das hätte nicht passieren dürfen."

"Warum, Raffaele?! Warum leugnest du mich? Warum bin ich dir nicht genug und warum betrachtest du mich wie eine Puppe oder Jemand, der einem nichts weiter bedeutet, wenn du mein Gesicht siehst - während du dein wahres Feuer zeigst, wenn ich es verdecke? Ich liebe dich, Raffaele! Du weißt es, und doch bedeutet es dir nichts, du wirfst mir die gestrige Nacht wie einen faulenden Lappen ins Gesicht!" Giancarlo war, als würde man sein Herz in winzigste Splitter zerreißen, die in sein Innerstes schnitten ... es schmerzte so sehr, die sachte Ablehnung und das Mitleid in den Augen Raffaeles zu sehen und dessen Worte zu hören, gerade nach dem, was die letzte Nacht passiert war. Ein Schmerz, der schaffte, was seit dem Tod seiner Mutter nichts mehr geschafft hatte: Die Augen Giancarlos brachen und heiße Tränen lösten sich von seinen Wimpern, rannen die Wangen herab und tropften unbeachtet in die weichen Kissen, auf denen sie lagen.

Daß Carlo so dachte, hatte Raffaele niemals erwartet, er hatte seinen Sohn sehr mit seinen Worten verletzt und tief im Herzen getroffen. "Ich liebe dich mehr als mein Leben. Aber es darf nicht sein. Weil ..." Auszusprechen warum, konnte Raffaele kaum, aber jetzt war es wohl soweit. "Weil du mein Fleisch und Blut bist."

"Was?" Carlo hatte viel erwartet – doch bestimmt nicht das. Auch wenn er nicht wußte, wie das sein konnte, es würde vieles erklären und so wischte er sich ärgerlich die Tränen ab und neigte sich näher, um dem Älteren mit den Fingerspitzen über die Wange zu kosen und sie in den lockigen, schwarzen Haaren ruhen zu lassen. "Wie meinst du das? Bitte sag mir doch, was es ist ... bitte."

"Du bist mein Sohn. Deine Mutter Elena war meine große Liebe, die einzige Frau, die ich jemals liebte und noch immer liebe, und es war eine verbotene Liebe. Ich habe mich immer um sie gekümmert und du warst ein Wunschkind, auch wenn du unehelich zur Welt kamst. Aber ich sorgte immer für sie und für dich ... bis Heute, und ich werde weiter für dich sorgen." Mit jedem Wort fielen ihm steinschwere Lasten vom Herzen und doch kamen Lasten hinzu. "Hättest du es gewusst, dann weiß ich nicht, was passiert wäre. Meine Eltern hätten dich niemals akzeptiert und dich wie Abschaum behandelt, wenn sie es wüssten, und diese Geheimnistuerei wollte ich dir nicht antun ... diese Last."

"Was ...?" Für einige Momente war Carlo völlig sprachlos. Doch dann huschte ein wehmütiges Lächeln über seine Lippen und er kam näher, legte seine Stirn an die Raffaeles und seufzte, als er ihm leise antwortete. "Mein Vater? Ich sah dich immer wieder, wenn du beim Schneider warst ... aber ich war dir nie nahe genug. Erst damals auf dem Friedhof habe ich dich zum ersten Mal berührt und es hat mich für immer geprägt. Schon damals habe ich begonnen, dich zu lieben – und es verstärkte sich einen jeden Tag, an dem ich dich in der Opernschule sah, noch mehr. Doch ich habe dich niemals wie einen Vater geliebt, Raffaele ... schon als Junge sah ich, wie begehrenswert du warst, deine Schönheit. Und als ich begann, mit den Anderen die Freuden der Liebe zu entdecken, mußte ich immer an dich denken, Raffaele. Es ist mir egal, daß du mein Vater bist oder daß ich dein Sohn bin – ich liebe dich. Und ich möchte die letzte Nacht nicht missen, sondern wiederholen ... immer und immer wieder, Raffaele."

Raffaele war den Tränen nahe und blickte seinem Sohn tief in die Augen. "Ich liebe dich auch mehr, als ich einen Sohn lieben dürfte. Du glaubst nicht, wie schwer es mir fiel, dich immer abzublocken. Dir ist klar, daß es verboten ist?" Das war es und so würde es bleiben.

"Ja ... aber es ist mir egal, Raffaele. Sag, wer außer dir und mir und dem Schneider weiß noch, daß wir Vater und Sohn sind? Vielleicht gibt es ja einen Weg ... ich kann und will nicht mehr zu dem Leben zurück, das wir bisher hatten. Ich will dein Vermögen nicht – auch nicht deinen Titel oder dieses Haus. Ich will nur dich, Raffaele ... nur dich." Viele Männer hätten die Chance genutzt und das eingefordert, das ihnen vielleicht zustünde ... doch Carlo interessierte all das nicht, er liebte Raffaele und wollte mit ihm zusammensein.

Der Ältere seufzte leise und strich seinem Sohn zärtlich über die Wange. "Antonio weiß es seit kurzem. Und ich will nichts weiter, als ein ruhiges Leben. Ich will weiter für dich da sein und ich will nicht weiterhin meinen Eltern alles erklären müssen oder mich ständig rechtfertigen, warum ich keine Frau will, um ihnen einen ehelichen Enkel zu schenken, ich würde ihnen zu gern sagen, daß sie schon einen haben." Für ihn war all das eine Last, obwohl er sie mit Elena zusammen gern getragen hatte, und seit ihrem Tod trug er sie ganz alleine.

"Nur er? Dann laß uns ein Paar werden, Raffaele. In ein paar Wochen werde ich mit den anderen Schülern geprüft, der Meister hat mich vorgezogen. Und wenn ich mein Zeugnis habe, können wir doch weggehen? Vielleicht nach Amerika ... ich könnte dort singen und Niemand weiß, daß wir mehr als ein sich liebendes Paar sind. Bitte, ich will dich - und hier werden wir beide niemals glücklich werden." Während er sprach, ließ Carlo seine Lippen immer wieder über das Gesicht seines Vaters kosen und lächelte zärtlich, als er ihm schließlich in die Augen sah, ihn sanft küßte und wieder näher zu sich zog.

"Du bist ein kluger Kopf ... Amerika klingt nach viel Freiheit." Carlo hatte Recht, hier konnte Raffaele nicht glücklich werden. Fortzugehen war die einzige Möglichkeit auf ein freies Leben, das sie Beide erfüllen konnte und wo Keiner von ihrer verbotenen Liebe wusste, außer vielleicht Antonio und Pablo, wenn sie mitkommen wollten. Raffaele wollte sie fragen, denn er wusste, wie sehr sein Freund von Amerika träumte, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, dem Land der Freiheit.

~~~***~~~ Das Ende? ~~~***~~~

 

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