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”A lifetime in a heartbeat” 02
 

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Sobald Ian die Tür hinter sich geschlossen und den Schlüssel umgedreht hatte, zog er sich die Maske vom Gesicht und drückte die grüne Taste seines Handys. Er meldete sich mit einem einfachen "Ja.", während er schnellen Schrittes in einen anderen Raum ging, damit Colin seine Worte nicht durch die Tür hören konnte.

Wie erwartet, erklang am anderen Ende der Leitung die raue Stimme eines älteren Mannes, mit dem er in den letzten Wochen mehrfach verhandelt hatte. Das passende Gesicht dazu hatte er nie gesehen.

"Es ist alles nach Plan verlaufen." antwortete er auf dessen Frage und griff beiläufig nach einem Handtuch, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Obwohl die Maske so konstruiert war, dass sie Luft an die Haut ließ, war sie trotzdem nicht angenehm genug, dass er sie freiwillig länger als unbedingt nötig tragen würde. Aber es war ein notwendiges Übel, denn bis jetzt hatte er noch nicht die Anweisung bekommen, seinen Gast unter die Erde zu bringen, nachdem dieser die gewünschten Informationen ausgespuckt hatte. Und selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, war der Perfektionist in Ian viel zu stark, um das Risiko einzugehen, sein Gesicht zu zeigen.

"Wie lange ?" Das Handtuch wurde zurück an den Haken gehängt und Ian fuhr sich über die kurzen, braunen Haarstoppeln. "Das ist jetzt noch nicht zu sagen. Er tut so, als wüsste er nicht, weshalb er hier ist, aber lassen Sie das meine Sorge sein. Wenn ich ihn anpacke, wird er singen."

"..."

"Natürlich lasse ich ihn am Leben, solange nicht klar ist, ob das Videoband auch an der Stelle ist, die er mir verrät. Ich bin kein Anfänger !" Ian schnaubte leise, jedoch unhörbar für den Mann am anderen Ende der Leitung. Was bildete sich dieser ein ?! War er ein Schulmädchen, das so aussah, als wüsste es nicht, was es tat ? Er war ein ausgebildeter Soldat, er wusste, wie man vorging !

"Hören sie." meinte er mürrisch zu der Stimme am Telefon. "Ich verhandle normalerweise nicht mit Leuten, die mir weder ihren Namen noch eine Nummer verraten, unter der ich sie erreichen kann. Außerdem wäre es sehr praktisch, wenn Sie mir etwas explizitere Informationen geben könnten, was GENAU ich eigentlich für ein Videoband – ... Hallo ? ... – Arschloch !!"

Wütend klappte Ian sein Handy zusammen und warf es auf eine kleine, beige Couch an der Wand. "’Wir melden uns wieder bei Ihnen’." äffte er den Mann nach und ließ sich mit einem ärgerlichen Schnauben in die Kissen fallen. Ian schloss müde die Augen und rieb sich die Schläfen. Er hasste es, wenn man ihm nicht genau darüber informierte, nach was er suchen sollte ... denn je weniger er wusste, umso schwerer war es für ihn einzuschätzen, ob das, was sein Gefangener sagte, der Wahrheit entsprach. Doch es würde auch so gehen. Nicht umsonst konnte er beinahe unverschämt hohe Summen für seine Dienste verlangen. Er würde sehen, was der nächste Tag ergab.

In der Zwischenzeit hatte Colin versucht, ein wenig zu schlafen, doch es war bei dem Versuch geblieben. Er konnte zwar nicht genau verstehen, was sein Entführer brüllte, doch er konnte an der Lautstärke und am Ton genau hören, daß dieser sehr wütend zu sein schien. Und das ließ nur einen logischen Schluß zu: Am Handy schien der Auftraggeber gewesen zu sein und dieser war scheinbar nicht erfreut darüber, daß es noch keine brauchbaren Informationen gab. Doch dann riß ihn etwas anderes aus seinen Grübeleien und Colin faßte all seinen Mut zusammen, als er ein zögerliches "Hallo ?" in die Richtung der Türe rief.

Ian horchte auf, als er das leise Rufen hörte und schüttelte müde den Kopf. Er war gerade überhaupt nicht in der Laune, das Verhör weiterzuführen. Zudem war er viel zu sehr Profi, um angerannt zu kommen, sobald sein Gefangener etwas wollte. So lehnte er sich zurück und schaltete den kleinen Fernseher an, der auf der Kommode gegenüber stand. Ein grünliches Bild des Zimmers, in dem Colin sich aufhielt, erschien, von einer versteckten Kamera im Rauchmelder an der Decke aufgenommen.

"Na, was willst du ?" murmelte er mehr zu sich selbst und schob sich ein Kissen hinter den Kopf. Ein wenig würde er den Anderen noch zappeln lassen.

Als Niemand auf sein Rufen reagierte, seufzte Colin leise und schüttelte über seine eigene Dummheit den Kopf. Natürlich würde dieser Mann nicht kommen – schließlich hatte er ihm ja nur zu deutlich klargemacht, daß dies kein Fünf-Sterne-Hotelaufenthalt war und die Handschellen erinnerten ihn ebenso daran. Doch als sein Magen ein weiteres Mal aufknurrte, nahm der junge Wachmann erneut seinen Mut zusammen und rief etwas lauter, doch absichtlich so freundlich, wie er es vermochte. "Falls sie irgendwann Zeit haben, wäre es nett, wenn ich vielleicht etwas Wasser und eine Kleinigkeit zu essen haben könnte ... ich weiß, daß ich ihr Gefangener bin und nichts fordern kann, doch es wäre wirklich nett, ich habe seit Heute früh nichts mehr gegessen und die Luft hier ist ziemlich trocken."

Ian verzog amüsiert den Mund als er die Worte des Anderen hörte, und konnte sich ein leises Lachen nicht verkneifen. Na, da hatte aber mal einer Mut ! Seine anderen Gefangengen hatten stets den Mund gehalten und sich nach anfänglichem Widerstand eingeschüchtert verkrochen, darauf hoffend, dass er sich so wenig wie möglich mit ihnen beschäftigte. Und dieses Kerlchen hatte es tatsächlich drauf, auch noch nach ihm zu rufen ! Er musste sagen, das würde äußerst interessant werden. Eigentlich beinahe schade, dass er ihn vielleicht irgendwann würde umbringen müssen.

Ian hatte sowieso vorgehabt, dem Anderen noch etwas zu essen zu bringen, doch er würde es nicht so aussehen lassen, als habe er auf dessen Bitte reagiert. So ließ er sich extra Zeit, um ein Fertiggericht in die Mikrowelle zu schieben und eine Flasche Wasser zu holen, bis er schließlich nach einer dreiviertel Stunde die Maske über den Kopf zog und die Tür zu Colins Zimmer öffnete, nachdem er sich durch den Türschlitz vergewissert hatte, dass dieser noch immer ans Bett gefesselt war.

Nun doch überrascht, hob der Jüngere den Kopf, als er hörte, wie die Türe aufging. Das Licht blendete ihn einen Moment, doch dann gewöhnten sich seine Augen daran und er wurde ein wenig rot, als er das Tablett in der Hand seines Entführers sah. "Danke ... ich weiß, daß sie das nicht tun müssen und es tut mir leid, daß ich sie damit belästige. Ich .. Danke." Daß es auch eine Henkersmahlzeit sein konnte, ahnte Colin – doch im Moment war sein erneut leise knurrender Magen einfach dominanter als seine Angst. Und so traute er sich noch, ein fast nicht verständliches "Könnten sie mir vielleicht die rechte Hand freimachen ?" nachzusetzen, darauf hoffend, daß dies jetzt nicht zu dreist war und sein Entführer einfach wieder ging.

Ian hob eine Augenbraue, doch durch die Maske konnte Colin die Bewegung nicht sehen. Eine Hand losmachen ? Noch mehr Sonderwünsche ? Zwar hatte er den Anderen zuvor auch nicht gefesselt, aber er hatte keine Lust, noch mehr Zugeständnisse zu machen. Zudem war selbst eine Gabel eine potentielle Waffe, die er nicht leichtfertig in die Hand seines Gefangenen geben würde.

So ließ er sich auf der Matratze des Bettes nieder und stellte wortlos das Tablett neben sich ab, bevor er die Gabel zückte und eine Nudel damit aufspießte.

"Mund auf !" befahl er kühl. "Und wenn du auch nur auf die Idee kommst, das Tablett runterzuschmeißen, wirst du für den Rest deines Aufenthaltes keinen Bissen mehr bekommen ! Verstanden ?"

"Ich bin zwar dämlich, aber nicht völlig dumm, Okay ? Und ich bin auch kein James Bond, der die Gelegenheit nutzt, um dich KO zu schlagen, mit der Gabel die Schellen zu knacken und dann einen Orden zu bekommen, weil er die Welt gerettet hat. Ich bin nur in dem Job, weil ich dämlich genug war, mich zu bewerben ... und dachte, daß ich da eine ruhige Kugel schieben kann. Ich bin ein Feigling, Okay ?" Es kostete Colin sichtlich Mühe, das zuzugeben – doch er wollte nicht, daß dieser Mann anders von ihm dachte und ihn womöglich noch schlimmer behandelte. Zudem roch das Essen einfach nur fantastisch – Colin kannte das Gericht, da er Single war, und er wußte, daß es zwar mies aussah, aber herrlich schmeckte.

"Dafür, dass du mir vorhin kein Wort sagen wolltest, bis du auf einmal sehr gesprächig !" Ian rollte mit den Augen, ehe er die Gabel zu Colins Mund führte. Dass der Andere kein Held war, hatte er schon von Anfang an geahnt. Zwar versuchten immer wieder Einige, den Unschuldigen zu spielen, aber diesem Mann kaufte er es tatsächlich ab. Normalerweise brachen Menschen wie er zusammen, sobald er das Zimmer betrat, und spuckten alles aus, was er wissen wollte. Es war irritierend, dass Colin in diesem Punkt standhaft blieb.

Jener blieb still und genoß einfach nur das herrliche Gefühl, endlich etwas essen zu können. Was hätte er auch groß auf die Worte seines Entführers antworten können ? Er wußte nichts ... doch wenn er das sagte, würde der Andere gewiß wieder wütend werden. Und so sagte er lieber nichts, hielt still und schluckte, ehe er zögerte und den Mund mit einem leisen "Bitte ?" wieder öffnete. Es war irgendwie seltsam – er lag hier gefesselt und völlig wehrlos auf dem Bett und wurde von einem Fremden, der sich hinter einer Maske versteckte, gefüttert. Doch irgendwie war das auch sehr reizvoll, gerade, weil für Colin Essen ein sehr sinnliches Erlebnis war. Und eben das ließ den jungen Wachmann wieder tiefrot werden und er wandte den Blick ab, da er sich bis ins Innerste für diese Vorliebe schämte und es mehr als nur peinlich für ihn war, daß sie sich gerade jetzt bemerkbar machte.

Wortlos fütterte Ian den Anderen weiter, innerlich mit den Gedanken abschweifend doch trotzdem hellwach, um jede unerwartete Bewegung sofort erkennen zu können. Während er sich innerlich einen Plan zurechtlegte, wie er Morgen weiter vorgehen würde, wanderten seine Augen abwesend über den Blonden, bis er mit einem Mal die Stirn runzelte und überrascht die Augen weitete.

Was bitte war das ? Einen Moment in seiner Bewegung erstarrend, konnte Ian es sich gerade noch verbieten, laut die Luft einzuziehen - doch das Bild, das sich ihm bot, war so ungewöhnlich, dass es ihn völlig aus dem Konzept brachte. Er hatte schon viel erlebt - aber noch keiner seiner Gefangenen hatte in seiner Gegenwart einen Ständer bekommen !

Eine Tatsache, die dafür sorgte, daß Colin einer reifen Tomate Konkurrenz machte. Doch er konnte nichts dafür, sein Körper handelte aus eigenem Willen – und gerade das so geübte, effeziente Füttern war trotz seiner Nüchternheit und des Schweigens zwischen ihnen doch etwas, das Colin erregte. Es war eine Eigenart, mit der er bisher alleine dagestanden hatte ... denn die wenigen Frauen, die er bisher in seiner Wohnung gehabt hatte, wollten so etwas nur mit Süßigkeiten oder Früchten machen und auch nur ein wenig, ehe man zum Sex überging. Doch der junge Blonde mochte etwas anderes ... er mochte es, wenn man das Essen mit Zärtlichkeit verband, es manchmal vielleicht auch teilte und es auskostete, einander zu verwöhnen. Sicherlich war dies hier nichts von seinen Fantasien – doch andererseits war es trotzdem sinnlich und genau das sorgte für die tiefe Röte in seinem Gesicht.

"Das gibt es ja nicht." murmelte Ian und musste sich auf die Unterlippe beißen, um nicht laut aufzulachen. "Turnt es dich etwa an, dass ich dich ans Bett gefesselt habe ? Stehst du auf Kerle ?"

Er runzelte mürrisch die Stirn, als er keine Antwort bekam, und zog die Gabel zurück. "Essen gibt es erst wieder, wenn du meine Fragen beantwortest !"

Einen Moment lang weiteten sich die Augen Colins vor Schreck, als er die Anschuldigungen hörte. Doch dann drehte er verschämt den Kopf zur Seite, schluckte schwer und schüttelte den Kopf, ehe er den Maskierten wieder anblickte. "Nein, das Fesseln ist nicht so mein Ding ... und ich weiß nicht, ob ich auf Kerle stehe, bisher hatte ich nur Frauen. Sie sind der erste Mann, der mir so nahe kam, es ... es ist nicht das, was sie denken." Es war schon peinlich genug, daß seine Stoffhose nichts verbarg – doch Colin brachte es einfach nicht fertig, den wahren Grund zuzugeben.

Was für eine amüsante Wendung ! Ian grinste in sich hinein, als ihm klar wurde, dass er die für seinen Gefangengen äußerst peinliche Situation gut für sich nutzen konnte. Ihm selbst war es egal, ob er mit einer Frau oder einem Mann das Bett teilte, doch Sex stand hier noch nicht einmal zur Debatte. Vielmehr würde es ihm bei seinen Befragungen sehr nützlich sein.

"Soll ich dich weiter füttern oder wäre es dir lieber, ich würde dir einen runterholen ?" fragte er schmunzelnd, sich durchaus der Provokation in seinen Worten bewusst. Es war zu schön, seinen Gast ein wenig zu ärgern.

"Was ?" Diese Frage ließ Colin sichtlich erbleichen, ehe das Blut wieder verstärkt in seine Wangen zurückschoß. Diese Frage war absurd, infam und ... und so schwer zu beantworten, daß der junge Blonde einen Moment überlegen mußte, ehe er schließlich ein leises "Ich habe noch Hunger ?" wisperte. Diese Antwort beschämte ihn zutiefst – denn sie verbarg nur unzureichend die Tatsache, daß er erst hatte überlegen müssen und Colin hoffte, daß sein Entführer daraus die falschen Schlüsse ziehen würde.

"Doch nicht so notgeil, wie ich dachte, oder einfach nur schüchtern ?" Der Brünette lachte leise auf und schüttelte innerlich den Kopf. Sein Gefangener war so leicht zu verunsichern, dass es ein Wunder war, dass er bis jetzt noch nicht mit den Informationen herausgerückt war. Vielleicht musste er einen anderen Weg wählen um das zu bekommen, was er wollte. Einige Leute zogen sich bei zu starker Einschüchterung in ihr Schneckenhaus zurück, wurden aber sofort gesprächig, wenn man freundlich zu ihnen war. Er musste sich das Vertrauen des Anderen erschleichen. Vielleicht war dieser einfältig genug, auf das Spiel hereinzufallen.

"Also, Mund auf !" beendete Ian das Thema mit einem neckenden Tonfall, anders, als er ihn sonst bei Befehlen wählte, und spießte mit der Gabel eine Nudel auf. "Ich will ja nicht, dass du vor Schwäche krepierst !"

Colin dachte sich ein leises 'Das wird eh nicht so bald passieren, dafür habe ich leider ein oder zwei Kilo zuviel auf den Rippen.', doch er hütete sich, es laut auszusprechen. Im Gegenteil, er öffnete seinen Mund und lächelte einen Moment scheu, als er die Nudel abnahm und zu kauen begann. All dies war irgendwie surreal geworden und der junge Wachmann ließ sich einfach fallen, entspannte sich und betrachtete den maskierten Mann, der ihm nun die letzten Nudeln fütterte.

Den Rest der Zeit sprachen sie kein Wort mehr. Ian fütterte Colin schweigend, sich innerlich überlegend, wie er seinen Plan am Besten ausführen sollte. Und als er schließlich das Licht ausmachte und den Raum verließ, war er regelrecht froh, dass er nicht sofort damit beginnen musste. Noch immer irritierte ihn die Tatsache, dass irgendetwas den Anderen erregt hatte. Wäre es nur die Maske oder das Fesselspiel gewesen, wäre dies schon viel früher passiert. Was hatte sich an der Situation geändert ?

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Ian dachte noch lange darüber nach, doch auch am nächsten Morgen, als er in der kleinen Küche stand und sich einen Kaffee kochte, war er noch nicht sonderlich schlauer geworden. Irgendetwas störte ihn, und er wusste partout nicht, was es war.

Wurde er nachlässig ? Ließ er sich von dem attraktiven Äußeren seines Gefangenen irritieren ? Nein, das war es nicht. Doch was war es dann ?

Gedankenversunken bereitete er sich sein Frühstück zu und machte dann ein kleines Tablett zurecht. Professionell wie immer sicherte er sich ab, bevor er den Raum betrat, in dem Colin sich befand, doch nichts in dessen Verhalten zeigte ihm, dass dieser sich zu einer Gegenwehr oder einem Fluchversuch entschlossen hatte. Eher schien sich der Andere mit seiner Situation abgefunden zu haben - und dies schneller als seine Vorgänger.

Und wieder verließ Ian das Zimmer iritiert. Er hatte keine Fragen gestellt, musste sich erst einmal klar werden, was das Ganze zu bedeuten hatte. Zudem machte es ihn nervös, dass seine Auftraggeber den morgendlichen Kontrollanruf nicht getätigt hatten. Wie sollte er wissen, was er zu tun hatte, wenn er keine Anweisungen bekam ? Er war Soldat, er brauchte klare Befehle ! Doch solange er diese nicht bekam, konnte er sich weiter der Frage widmen, was die ungewöhnliche Reaktion des Anderen auf ihn ausgelöst hatte. Und auch wenn dieser diesmal bei seiner Anwesenheit nicht erregt gewesen war, hatte Ian deutlich die unangenehme Spannung gespürt, die in der Luft lag.

"Wäre doch gelacht, wenn ich das nicht rausfinden würde." murmelte er und ballte die Fäuste, ehe er mit einem erschrockenem Blick auf die Uhr feststellte, dass er fast den gesamten Tag gegrübelt hatte, ohne sich ein einziges Mal um Colin zu kümmern. Entschlossen sprang er auf und griff nach seiner Maske, ehe er sich besann und diese zur Seite legte. Der Andere würde Hunger haben, denn es war schon später Nachmittag und Ian hatte ihn seit dem Frühstück ignoriert. Nun, vielleicht war dies gar nicht so schlecht. So würde er Colin vielleicht weichkochen.

Der war zwar nicht mehr an das Bett gefesselt und konnte auch das kleine Bad benutzen, doch trotzdem ließ ihm die Ruhe viel zuviel Zeit, um über all das zu grübeln, das die letzten Stunden passiert war. Leise seufzend, setzte sich Colin auf das Bett und vergrub die Finger in seinen Haaren, blieb leicht vornübergebeugt und schloß seine Augen. Es war einfach nur peinlich – zu seinem Glück hatte sein Entführer bisher noch nicht bemerkt, wie sehr er auf dieses Füttern ansprach und es beibehalten, ihn mit den Handschellen anzuketten. Doch nun war fast ein ganzer Tag vergangen, wenn er seiner Uhr glauben konnte, und Niemand hatte den Raum betreten. Er hoffte inständig, daß er nicht vergessen worden war ... denn auch wenn er nicht verdursten konnte, nach einer gewissen Zeit würde er gewiß verhungern.

Langsam öffnete Ian die Tür, ungewiss, was er als Nächstes tun sollte. Die Tatsache, dass sich seine Auftraggeber noch nicht gemeldet hatten, beunruhigte ihn, aber wenn er überzeugend wirken wollte, musste er diese Gedanken vergessen.

"Na, schon sehnsüchtig auf mich gewartet ?" fragte er spöttisch und schloss die Tür hinter sich, während er auf Colin zuging, der bei seinem Eintreten sichtlich zusammengeschreckt war.

Ian stellte das Tablett, das er mitgebracht hatte, in einiger Entfernung ab, bevor er auf den Anderen zuging, seine Hände griff und ihn aufs Bett zwang, um dann hinter dem Rücken des Anderen das Metall der Handschellen um die Gitter des Bettes zu schließen.

"Ich biete dir einen Deal an." begann er ruhig zu sprechen, sich innerlich wundernd, wie teilnahmslos Colin sich hatte fesseln lassen. "Ich koche für dich, bin nett zu dir und du hast noch keine Gegenleistung erbracht. Das ist nicht sonderlich entgegenkommend von dir. Also wirst du dir jetzt deine Behandlung erarbeiten müssen. Ich frage dich etwas und wenn mich deine Antwort zufrieden stellt, bekommst du einen Bissen."

"W... was ?" Colin hatte sich nicht gewehrt, da er den Größeren nicht verärgern wollte ... doch das, was dieser sagte, warf ihn völlig über den Haufen. "Ich ... Okay ?" Er wußte nicht, was er dazu sagen sollte – doch andererseits erinnerte ihn sein laut bei dem herrlichen Essensgeruch aufknurrender Magen, daß er Hunger hatte und das nicht zu knapp. Und er war diesem Mann völlig ausgeliefert ... gerade auch deshalb, weil der ihn wieder gefesselt hatte.

"Gut." Ian nickte sichtlich zufrieden und setzte sich seitlich des Anderen auf die Matratze. Das Tablett stellte er neben sich und piekte mit der Gabel ein Stück Fleisch auf, bevor er Colin prüfend musterte. Er wusste, dass der Andere glaubte, es ginge schon wieder um die Informationen, wegen denen er ihn entführt hatte ... deshalb konnte er sich vorstellen, wie ihn seine nächste Frage aus der Bahn werfen würde.

"Bist du schwul ?"

Und das war noch eine Untertreibung. Für einen Moment weiteten sich die Augen Colins fast schon comicartig, dann errötete er bis unter die Haarspitzen, drehte den Kopf verschämt zur Seite und schüttelte unsicher den Kopf, ehe er nickte und dann den Kopf wieder schüttelte. Er hatte keine Ahnung, wieso sein Entführer das fragte – doch sein Hunger siegte über Verschwiegenheit oder Scham und was bedeutete es schon, wenn der Mann wußte, daß er unsicher war, was seine sexuelle Ausrichtung anbelangte.

Zu komisch ! Ian musste sich sehr zusammenreißen, um nicht laut zu lachen, doch zum Glück verbarg seine Maske sein Mienenspiel. Wie er es versprochen hatte, hielt er Colin die Gabel hin und ließ ihn den Bissen essen, bevor er sich so weit vorlehnte, dass sein Atem an das Ohr des Blonden drang, als er mit einem Finger über dessen Hals strich und leise flüsterte: "Und macht es dich an, dass du mir so ausgeliefert bist ?"

Diese schon fast zarte Berührung kombiniert mit dem weichen Atem und der Nähe des Anderen ließen den jungen Wachmann fühlbar erschauern, als er hungrig kaute und schließlich schluckte. "Ich weiß es nicht ... die Handschellen nicht, die machen mir Angst, aber ... ich ... ich weiß es nicht." Er verhaspelte sich fast und hustete leicht, weil er sich ein wenig verschluckte. Es stimmte – das Fesseln machte ihn definitiv nicht an, doch etwas anderes schon, auch wenn er sich nicht traute, es zu sagen.

"Die Fesseln also nicht ..." murmelte der Brünette nachdenklich zu sich selbst. Was konnte es dann nur sein ? Er war entschlossen herauszufinden, was den Anderen am Vortag so erregt hatte.

Abwesend ließ er seinen Blick über den Körper des Blonden schweifen, strich mit den Fingerspitzen vom Hals hinab über den Brustkorb und öffnete die Knöpfe des Hemdes, dabei deutlich spürend, wie der Andere erschauderte.

"Ich bin mit deiner Antwort nicht wirklich zufrieden." sagte er und schob die Maske ein wenig hoch, gerade so viel, dass sie noch seine Nase bedeckte. Seine Zunge fuhr heraus und befeuchtete seine trockenen Lippen, bevor er diese hauchzart über Colins Wange gleiten ließ. Oh ja, er wusste, dass er dem Anderen damit Angst einjagte und ihn mit seinem widersprüchlichen Verhalten noch weiter verunsicherte. Und auch wenn Ian es nur ungern zugab, sein kleines Schauspiel machte ihm mit jeder Minute mehr Spaß.

Erneut erschauernd, schloß der junge Wachmann wieder die Augen und schluckte schwer, als er diese schon fast zärtliche Berührung fühlte. "Ich weiß nicht, was ich dir antworten soll ... du frägst mich Sachen, die ich doch selber nicht weiß. Kann ich vielleicht noch etwas essen ? Bitte ?" Wie um seine Worte zu bestätigen, knurrte der Magen des Schlankeren wieder auf und er seufzte leise, denn er ahnte schon, daß es nicht so leicht werden würde.

Wenn das nicht mal ein Korb war ! Das Essen wurde ihm gegenüber bevorzugt. Ian schnaubte leise und zog die Brauen zusammen, ehe er sich zusammenriss. Denn trotz der Abweisung war ihm wohl aufgefallen, dass Colin ihn nicht einfach von sich gestoßen oder beschimpft hatte, wie es jeder Hetero in dieser Situation wohl getan hätte - Furcht hin oder her. Ein Geheimnis umgab den hübschen Blonden und Ian hatte fest vor, es zu lüften.

"Essen also ..." murmelte er leise und hielt Colin die Gabel hin. "Vielleicht wirst du ein wenig gesprächiger, wenn ich dich füttere."

Das ließ den jungen Wachmann wieder Rot werden und er senkte den Blick, ehe er leise wisperte. "Sorry ... aber ich habe einfach Hunger. Ich kriege keinen gescheiten Gedanken zusammen, wenn mir dauernd der Magen knurrt oder das Wasser im Mund zusammenläuft, weil ich das Essen rieche. Ich bin zwar eigentlich nicht so verfressen, aber weil du mich entführt hast, hab ich nicht Abendessen können und seither bei dir nicht viel gekriegt. Ich bin auch nur ein Mensch, Okay ?" Bisher hatte sich Colin nicht getraut, so viel zu seinem Entführer zu sagen ... doch er war hungrig und verzweifelt, und so wagte er diesen zaghaften Vorstoß.

Ian wusste nicht, warum er sich so schnell geschlagen gab. Er hatte vorgehabt, den Anderen noch weiter zu verunsichern, es aber nicht getan, obwohl er die perfekte Gelegenheit dazu gehabt hätte. Doch erst, als er Colin einen weiteren Bissen nehmen ließ, wurde ihm wirklich klar, dass er sich gerade den Wünschen seines Gefangenen unterordnete. So etwas durfte auf keinen Fall ein weiteres Mal passieren !

"Durstig ?" fragte er scheinheilig und griff nach der Wasserflasche, die er mitgebracht hatte, ehe er einen tiefen Schluck nahm und den Anderen herablassend betrachtete. "Es ist sehr viel unangenehmer zu verdursten, als zu verhungern. Ich habe irgendwie Lust, die Badtür abzusperren. Was willst du dagegen tun ?"

"Was ?" Im ersten Moment war Colin viel zu entsetzt, um mehr herauszubringen – einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, wütend auf seinen Entführer zu werden, doch dann ließ er es, da er in dessen Gewalt war. "Nichts ... ich kann nichts tun." Diese Erkenntnis erschütterte ihn bis ins Mark und er senkte resigniert den Kopf, denn auch wenn er tat, was sein Entführer wollte, er konnte ihm nichts sagen. Und die Vorstellung, weder die Möglichkeit zu haben, aufs Klo zu gehen oder Wasser zu trinken, war nicht nur erniedrigend, sondern auch so hart wie die Androhung körperlicher Gewalt.

Ian sah die Verunsicherung in den Augen des Anderen, sah, wie sich dessen Hände verkrampften, doch anstatt den Triumph in sich zu spüren, den er erwartet hatte, fühlte er einen ungewohnten Zorn in sich aufsteigen. Und noch ehe er es sich versah, war er über Colin, packte ihn am Kragen und riss ihn zu sich.

"Wehr dich endlich, verdammt !" brüllte er, selbst nicht wissend, warum, bevor er seine Lippen auf die des Anderen presste.

Nur Sekundenbruchteile verweilte er, spürte, wie der andere Körper zu Eis erstarrte, ehe mit einem Mal in seinen Geist sickerte, was er gerade tat.

Ian keuchte und schnellte zurück. Sein Blick fiel auf das Tablett am Boden, das er duch seine ruckartige Bewegung umgestoßen hatte, dann auf Colin. Dessen blaue Augen waren geweitet, sahen ihn mit einem Ausdruck der bloßen Fassungslosigkeit an, und etwas in ihnen schickte Ian einen kalten Schauer über den Rücken. Er musste hier raus ! Schnell !

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, drehte er sich um und flüchtete förmlich aus dem Zimmer. Und erst, als er die Tür von der anderen Seite geschlossen und verriegelt hatte, erlaubte er sich, wieder Luft zu holen. Trotzdem hob und senkte sich seine Brust noch minutenland unregelmäßig, bevor er sich apathisch auf sein Sofa fallen ließ und die Augen schloss. Was, verdammt nochmal, war gerade geschehen ? Was es auch gewesen war ... er hatte damit sehr viel aufs Spiel gesetzt.

Zurück blieb der junge Wachmann, der nun überhaupt nicht mehr wußte, was er denken sollte. Es war fast so, als ob sein Entführer ihn mit Gewalt dazu bringen wollte, aufzubegehren – doch weshalb, das blieb weiterhin unklar. Fast schien es, als ob er es gewohnt war und nicht recht mit der Situation umgehen konnte, wenn seine Opfer keine Angst sondern Resignation zeigten – es wäre eine Erklärung, doch eine, die Colin in noch tiefere Probleme warf. Sein laut aufknurrender Magen zeigte ihm jedoch, daß das seine letzte Sorge war ... der Geruch des Essens stieg Colin in die Nase und er biß sich kurz in die Lippe, denn das Essen war so nah und doch hätte es nicht weiter entfernt sein können, da seine Hände noch immer gefesselt waren. Und dieser Maskierte war auf und davon, ließ ihn hier hungrig zurück und tat weiß Gott was, nur nicht das, was Colin sich wünschte. "Hey – bitte, gib mir wenigstens noch was ! Bitte ..."

Doch Ian konnte nicht. Seine Augen fixierten die Tür, starrten sie an, als ob sie ihm etwas offenbaren könnte, was er selbst nicht verstand. Er wollte sie am Liebsten nie mehr öffnen, die Wohnung verlassen und Colin vergessen. Beinahe ohne sein Zutun griffen seine Hände nach seiner Jacke, steiften sie ihm fahrig über, bevor er sich zur Eingangstür wandte und seine Wohnung verließ, ohne noch ein Wort an seinen Gefangenen zu verlieren. Er wusste, er würde irgendwann zurückkommen müssen. Doch etwas schnürte ihm innerhalb der plötzlich ungewohnt engen vier Wände den Atem ab.

"Verdammt..." murmelte er und zog den Kragen enger zusammen, als der eisige Herbstwind ihm um die Ohren sauste. Dieser Job lief definitiv nicht so, wie er ihn geplant hatte. Und wenn er nicht bald herausfand, was mit ihm nicht stimmte, würde er sich in ernste Schwierigkeiten bringen. Und das nicht nur seinem Auftraggeber gegenüber ...

Als die Wohnungstüre ins Schloß fiel, erstarrte Colin. So klischeehaft es auch war, es klang so entgültig, daß er zurücksackte und einen Moment lang schluckte, während eine eisige Hand sein Inneres zu packen schien. Sein Kidnapper war einfach gegangen – und er lag hier angekettet, nur von der vagen Hoffnung erfüllt, daß er wertvoll genug war, daß dieser Mann wieder zurückkam und ihn am Leben erhielt. Und das sollte er möglichst bald tun – noch ging es, doch der junge Wachmann fühlte mehr als nur gut, daß er in einiger Zeit wieder aufs Klo mußte. Ihm blieb noch maximal eine Stunde, doch mehr ganz bestimmt nicht. "Verdammter Mist ... oh Gott, jetzt hoffe ich schon darauf, daß der Mann, der mich überhaupt hierher gebracht hat, wieder zu mir zurückkommt. Verdammt ..."

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